Fröhliche Wiederkehr
Eltern zurückexpedieren oder — ein guter Einfall — mich nach Kallinowen zu schicken. Von den vielen Kindern, die Großmutter ihrem Bärchen geschenkt hatte, waren fünf am Leben geblieben: meine Mutter, ihre Schwestern Elma und Grete und zwei Brüder Walter und Eduard. Von Eduard, der nicht gut getan hatte und nach Amerika ausgewandert oder abgeschoben worden war, wurde nie gesprochen. Er blieb verschollen.
»Weißt du was, Jungchen«, sagte Großvater, »ehe wir hier alle beide verhungern, gehst du für ein Weilchen zu deiner Tante Elma nach Kallinowen. Na, was sagst du dazu?« Vor die Wahl gestellt, nach Kallinowen zu fahren oder an Großvaters Seite eines schrecklichen Hungertodes zu sterben, zog ich den Besuch bei Tante Elma vor. Aber Großvaters Vorschlag war leichter ausgesprochen als ausgeführt, denn nach Kallinowen bestand keine Bahnverbindung, und Großvater mußte seine Beziehungen ausspielen, um mich zu verfrachten. Schließlich stellte ihm einer seiner Freunde, der Sägewerksbesitzer Caspary, Pferd und Wagen zur Verfügung, mein Köfferchen wurde wieder gepackt, und frühzeitig am nächsten Morgen setzte Großvater mich neben sich auf den Bock und kutschierte den leichten Einspännerwagen zur Stadt hinaus. Am Südufer des Großen Sellmentsees entlang ließ Großvater den Braunen dahintraben. In Borzymmen brachte Großvater den Wagen vor dem Dorfkrug zum Stehen, das Pferd wurde getränkt, und Großvater spülte ein gewaltiges Bauernfrühstück, Eier und Speck auf Bratkartoffeln, mit einigen Flaschen Bier hinunter. So kamen wir gerade rechtzeitig zum Mittagessen in Kallinowen an, wo Großvater seiner Tochter Elma von Großmutters Mißgeschick mit dem Hecht und von seinen eigenen Nöten erzählte und es unter diesen Umständen wohl für selbstverständlich hielt, daß ich Tante Elma hochwillkommen sei. Ich war dessen nicht so sicher wie er. Sie erwartete nämlich, was Großvater total vergessen hatte oder vergessen wollte, ihr erstes Kind, nicht gerade in den nächsten Tagen, aber doch schon deutlich vorhanden.
Auf das Mittagessen mußte Großvater verzichten, denn Tante Elma hatte nichts gekocht, da ihr Mann mit dem Tierarzt Bolutus in Geschäften unterwegs war. Das Angebot, ihm mit einem Bauernfrühstück aufzuwarten, schlug er dankend aus, denn solch eins hatte er gerade hinter sich. So fuhr er, wenn auch nicht gerade mit knurrendem Magen, aber doch leicht verstimmt nach Lyck zurück, um das Fuhrwerk wie verabredet am späten Nachmittag bei Herrn Caspary abzuliefern. Tante Elma hatte, zwei Jahre, bevor Mutter in den Ehestand getreten war, Herrn Aurel Stark geheiratet, dem sie in der Lycker Apotheke begegnet war, wo er als Provisor wirkte. Bald nach der Hochzeit hatte er sich selbständig gemacht und eine Apotheke in Kallinowen eröffnet. Ob es heute noch auf Apotheker zutrifft, wage ich nicht zu entscheiden, aber früher sagte man ihnen nach, daß die meisten von ihnen ein lockeres Schräubchen im Kopf hätten. Bei Onkel Aurel waren mehrere nicht fest angezogen.
Er war ein großer schlanker Mann mit einem scharf gezogenen Mittelscheitel, einem hochgezwirbelten Schnurrbart, einer gewaltigen Nase und einem von Schmissen zerhackten Gesicht. Die Apotheke hatte er in einem Haus an der Dorfstraße eingerichtet, das vordem ein Gasthaus gewesen war. Der Inhaber hatte sich zu Tode getrunken, was dem Besitzer des zweiten Kallinower Gasthofs, Herrn Leitner, der nebenher auch noch einen Kolonial- und Eisenwarenhandel betrieb, nicht unlieb gewesen sein konnte, denn seine Monopolstellung hatte ihn zu einem wohlhabenden Mann gemacht. Auf dem Hause von Onkel Aurel ruhten noch die alten Schankgerechtsame, und sie erloschen nicht, wenn er nachweisen konnte, daß er irgendwann im Jahr irgendwelchen Leuten einen Schnaps gegen Bezahlung ausgeschenkt hatte. Da die Apotheke im Anfang gar nicht gut ging, spielte Onkel Aurel mit dem Gedanken, Gasthof und Kneipe wieder zu eröffnen und kredenzte einigen Bekannten alljährlich am Neujahrstag einen Schnaps, den er sich mit einem Pfennig vergüten ließ, dessen Bezahlung ihm aber die Gäste unterschriftlich quittieren mußten. Er hielt an diesem Brauch auch noch fest, als es ihm besser und schließlich sogar gut ging, denn inzwischen fabrizierte er in einem der sonst ungenutzten Ställe ein Mittel gegen Kälberdurchfall, das sein Freund, der Tierarzt Bolutus, den Bauern im ganzen Landkreis und über dessen Grenzen hinaus empfahl, so daß es ihm einen Haufen Geld einbrachte.
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