Fröhliche Wiederkehr
Gewitters befürchtete und statt des vorgesehenen Zieles, einer Waldwiese, es vorzog, bei einem Schuppen zu halten, in dem seine Waldarbeiter bei schlechter Witterung Unterschlupf fanden. Es lagen auch Holzvorräte darin, und ein roher Dachboden, zu dem eine Leiter hinaufführte, war mit Heu vollgestopft, das für die Winterfütterung des Rotwildes gelagert wurde. Herr Leitner schirrte die Pferde aus und ließ sie grasen, denn zwischen dem Blaubeerkraut gab es einige fette Grasinseln. Wir Kinder machten uns auf die Erdbeersuche, und die Frauen breiteten unweit des Schuppens weiße Tücher auf dem Waldboden aus und holten die Vorräte vom Wagen. Herr Leitner merkte als erster, daß irgend etwas nicht stimmte. Das Verhalten der Pferde machte ihn stutzig. »Ich weiß nicht, was die Gäule haben,« sagte er, »sie drehen die Ohren, als ob ihnen etwas nicht ganz geheuer ist — und das Licht ist auf einmal auch so komisch... Ich weiß nicht, aber ich glaub’, ich spanne die Pferde lieber ein, ehe sie mir womöglich noch durchgehen,« und er ging, um die Pferde wieder einzufangen und vor den Wagen ins Geschirr zu hängen. Die langen Zügel verknotete er an einem Baum. Das Licht hatte sich wirklich seltsam verändert. Sogar wir Kinder merkten es, obwohl die Helligkeit kaum abnahm, aber die Bäume warfen keinen Schatten mehr. Es war eine beklemmende Stimmung, und wir gingen mit den wenigen Erdbeeren, die wir bis dahin gepflückt hatten, zum Schuppen zurück. Der Pfarrer rätselte, ob es sich um eine Sonnenfinsternis handeln könne, aber Herr Leitner schüttelte den Kopf und meinte, so was stände im Kalender oder man hätte das sonst irgendwie erfahren. Und während die Pferde immer unruhiger wurden und sich aneinander drängten, vernahmen auch wir, was sie wohl schon seit längerer Zeit hörten, ein unerklärliches Geräusch, das sich wie das Rumpeln eines schwer beladenen Wagens anhörte, der in weiter, sehr weiter Entfernung über eine Bohlenbrücke fuhr. Und dann begann die Sonne sich zu verfinstern. Es war, als sinke die Dämmerung schon in dieser frühen Nachmittagsstunde auf die Erde herab. Und während der Himmel sich grauschweflig verfärbte, begannen die Wipfel der hohen Tannen zu zittern, als würden sie von leichten Windstößen geschüttelt, von denen unten noch nichts zu merken war. Nur das Rumpeln näherte sich und wurde lauter. Es kam aus fernen Höhen heran, klirrend und polternd, als schöben sich in eisigen Winternächten vom Ostwind gepreßt die Eisschollen des Spirdingsees übereinander. Und plötzlich war es Nacht, stockfinstere Nacht, die nur gelegentlich von einem fernen Wetterleuchten aufgehellt wurde. Wir hatten uns unter das Vordach des Schuppens geflüchtet. Herr Leitner war zu den Pferden gelaufen und versuchte sie zu beruhigen, aber sie zerrten am Geschirr und gebärdeten sich so wild, daß er sie losmachte, denn er befürchtete, sie könnten den Wagen zerschlagen und sich bei ihren Ausbruchversuchen verletzen. Sie stoben davon und verschwanden im Dickicht des Waldes. Das Poltern am Himmel war inzwischen zum ohrenbetäubenden Getöse angeschwollen. Ich klammerte mich an Tante Elmas Rock und sah im Licht der niederzuckenden Blitze, daß sie die Hände gefaltet hatte und betete. Was blieb mir in meiner Angst anders übrig als auch zu beten, wie der Pfarrer, wie seine Frau und wie seine Kinder, nur fiel mir nichts anders ein als: Komm, Herr Jesus, sei unser Gast... Mitten im Weltuntergang, in einem eisigen Weltuntergang, denn es hagelte nicht etwa, sondern als ob das Himmelsgewölbe geborsten sei, stürzte Eis auf die Erde herab, Eisbrocken, die die Kronen der Tannen zerfetzten, niederbrechen ließen und die Stämme bis zum Bast schälten. Das Niederkrachen entwurzelter Bäume hörte man in dem Toben nicht, aber Herr Leitner zerrte uns in den Schuppen hinein, wohl in der Hoffnung, daß das Preßheu über unseren Köpfen den Aufschlag eines niederbrechenden Baumes mildern könne.
Ich weiß nicht mehr, wie lange das Unwetter andauerte und wie hoch das Eis, von Tannennadeln grünlich verfärbt und mit Astwerk zusammengebacken, sich um die Holzhütte türmte. Ich weiß auch nicht mehr, wie wir nach Kallinowen zurückgekommen sind. Keinesfalls mit dem Wagen, mit dem wir in den Wald gefahren waren, denn die Pferde waren vom Eis und von stürzenden Stämmen erschlagen worden, erschlagen wie das Vieh, das auf den Wiesen geweidet hatte. Ich weiß nur, daß in Kallinowen selber kein einziges Hagelkörnchen
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