Fröhliche Wiederkehr
gefallen war und daß wir Kinder, noch immer am ganzen Leibe zitternd, Tee mit Rum eingeflößt bekamen und in die Betten gesteckt wurden.
In den zwanziger Jahren erregte ein Buch Aufsehen, dessen Titel >Glazialkosmogonie< hieß und als Verfasser einen Ingenieur namens Hörbiger hatte; er war Vater von zwei Söhnen, die einmal als Schauspieler berühmt werden sollten. Hörbigers Buch wurde viel diskutiert und ernsthafter, als es heute etwa mit Dänikens Phantasmagorien geschieht. Hörbiger hatte als Ingenieur mit Hochöfen zu tun und dabei die Entdeckung gemacht, daß Eis von hohen Kältegraden, in die Glutflüssigkeit eines Hochofens geworfen, so lange in der Glut ruhte, bis es durch eine äußere Einwirkung sozusagen herausexplodierte. Auf Feuer und Eis begründete er seine Kosmogonie, in der er behauptete, daß im Kosmos herumirrende Eiskörper von Fixsterngröße von einem glühenden Zentralgestirn eingefangen worden seien und, von dieser Zentralsonne durch ein kosmisches Ereignis ausgestoßen, zur Bildung unseres Planetensystems geführt hätten. Seine Theorie wurde von den Fachgelehrten verworfen. Was aber mich persönlich an seinem Buch faszinierte, waren ein Bericht und eine Karte, die sich auf das Ereignis bezogen, das sich an jenem Julitag im Kosmos abgespielt hatte, als ich in der Waldhütte des Herrn Leitner glaubte, den Untergang der Welt zu erleben. Hörbiger behauptete nämlich, an jenem Tage habe die Erde einen Eiskörper etwa von der Größe unseres Mondes eingefangen und zum Absturz gebracht. Die beigefügte Karte zeigte den Weg, den die auf die Erde stürzenden Eismassen genommen hatten; er zog sich in einer Breite von etwa zwanzig Kilometern von Spanien quer durch Europa bis nach Finnland hin und hatte die ostpreußische Grenze nach Rußland dort gestreift, wo Kallinowen lag. Das Kindheitserlebnis hat mich lange zum Anhänger und Verfechter von Hörbigers Kosmogonie gemacht, bis mich bessere Belehrungen an seiner Theorie zweifeln ließen... Nicht lange nach dem Weltuntergang traf bei Tante Elma ein Brief von Großvater ein, daß Großmutter wieder wohlauf sei und daß sie mich, sobald sich eine Fahrgelegenheit ergebe, nach Lyck zurückschicken könne. Auf einige Tage mehr oder weniger komme es dabei nicht an. Tante Elma aber hatte es sehr eilig, machte noch am gleichen Tage einen Bauern ausfindig, der etwas in Lyck zu besorgen hatte, und setzte mich am nächsten Morgen in seinen Kastenwagen, nicht, ohne mir nochmals dringend einzuschärfen, daß ich von >jenen Dingen< den Großeltern kein Sterbenswörtchen erzählen solle. Ich konnte es ihr leichten Herzens versprechen, denn ich hatte jene Dinge längst vergessen und hätte sie wohl, auch wenn ich sie nicht vergessen hätte, kaum für wichtig und erwähnenswert gehalten. Da gab es ganz andere Dinge zu erzählen, vom Kasperletheater, von Leitners toten Pferden und von den Kühen, die das Eis auf der Weide erschlagen hatte.
Es mögen zwei oder drei Wochen gewesen sein, die ich in Kallinowen zugebracht hatte. Daß ich noch einen ganzen Monat bei den Großeltern bleiben durfte, rückte den Termin des Abschieds in nebelhafte Fernen. Großmutter hatte die Blutvergiftung gut überstanden, nur der schwarze Fingerling eines alten Handschuhes, den sie über den Daumen gestülpt trug, erinnerte an das Abenteuer mit dem toten Hecht, er hinderte sie aber nicht daran, die große Tasse mit dem Goldrand zu halten und mir wie früher ein Zuckerei so lange zu schlagen, bis es die Tasse bis zum Rand füllte. Während sie das Eiweiß zu Schnee schlug, las sie mir aus >Max und Moritz< oder aus dem >Rübezahl< vor, erzählte mir zum hundertsten Male die Rattengeschichte, und dazwischen ließ sie sich von mir berichten, was ich in Kallinowen erlebt hatte. Sie wollte es sehr genau wissen, wo ich im Hause geschlafen hatte, was Tante Elma gekocht hatte, und warum ich zu Leitners umquartiert worden war. Ich scheine ihr doch mehr erzählt zu haben, als es Tante Elma lieb gewesen sein kann, denn manchmal schüttelte sie den Kopf, ließ zwischen den wenigen Zähnen, die sie noch besaß, ein tz tz tz hören und murmelte: Arme Elma, arme Elma... Und es beruhigte sie auch nicht, als ich meinte, so arm wie sie es darstelle, wäre Tante Elma auf gar keinen Fall, denn immerhin könne sie sich zwei Dienstmädchen, die Vera und die Julenka, halten. Da warf sie Großvater, der auf dem Sofa saß und seine lange Pfeife rauchte, einen zum Himmel gerichteten Blick zu, die Pfeife
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