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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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Nicht, daß er etwas gegen Onkel Walter persönlich gehabt hätte, keineswegs! Es störte ihn höchstens, daß Onkel Walter Kaufmann war, und wie alle Kaufleute, Geld damit verdiente — was Vater irgendwie suspekt zu finden schien —, Ware möglichst billig einzukaufen und möglichst teuer zu verkaufen. Auf wessen Kosten, zum Teufel, auf wessen Kosten? !
    An einem Sonntag in der ersten Oktoberhälfte war es dann so weit. Leider lag Vaters Laune trotz des strahlenden Spätherbstwetters unter dem Gefrierpunkt. Gleich in der ersten von den sechs Semmeln, die er sich, um die Sonntagsausgabe der >Allgemeinen< ohne lästige Unterbrechungen lesen zu können, mit Butter und Honig bestrich, hatte er einen mit schwärzlich verkrusteter Verbandgaze gefüllten Finger eines Handschuhes entdeckt, den der Bäcker oder einer seiner Gesellen beim Kneten im Teig verloren hatte. Vater wurde ganz grau im Gesicht. »Was sagt ihr zu der Schweinerei?!« ächzte er abgewürgt und schüttelte sich vor Ekel. Wir sagten nichts, und es erbitterte ihn zusätzlich, daß uns sein Zorn auf den säuischen Bäcker wenig zu berühren schien, denn wir hingen in den Fenstern, als würde im nächsten Augenblick der Kaiser mit seinen sieben Söhnen durch die Ziegelstraße marschieren. Wir nahmen an, daß Onkel Walter und Tante Miekchen in einer Pferdedroschke Vorfahren würden, aber um zehn Uhr bog von der Königstraße her ein viersitziger Phaeton in die Ziegelstraße ein, näherte sich mit Tatütata unserem Haus und hielt mit einem letzten dröhnenden Signal der Hupe vor der Toreinfahrt. Onkel Walter hatte sich für seinen Aufenthalt in Deutschland ein Auto mit Chauffeur gemietet!
    Ganz gewiß liefen in Königsberg zu jener Zeit schon einige Automobile, aber sie waren ein seltener Anblick und erregten merkwürdigerweise nicht einmal uns Kinder sonderlich. Wir nannten sie verächtlich Stinkekutschen und schmissen ihnen höchstens Steine nach, wenn sie uns in unseren Spielen auf der Straße störten. Nach der amtlichen Statistik von 1909 gab es in Ostpreußen insgesamt 385 Motorwagen, 4 davon dienten der Beförderung von Lasten. Mochte unsere Einstellung zu den neumodischen Vehikeln, auf deren Zukunft niemand auch nur einen Pfifferling gesetzt hätte, sein wie sie wollte, daß Onkel Walter mit solch einem Automobil und mit eigenem Chauffeur dazu vor unserm Hause vorfuhr, erfüllte uns doch mit mächtigem Stolz, und mit noch angenehmeren Gefühlen, als sich eine ziemlich große Menschenmenge, denn die Leute kamen gerade aus der Kirche, um Onkel Walters Wagen scharte.
    Der Chauffeur, Herr Janson aus Hamburg, sprang aus dem Phaeton, um Tante Miekchen den Schlag zu öffnen, und sie stieg graziös heraus, zeigte ein winziges Knöpfelstiefelchen und eine Andeutung von florbestrumpftem Damenbein. Sie trug ein grau kariertes Sportkostüm und einen sportlichen kleinen Hut, dessen schmale Krempe ein grauer Schleier an ihre Wangen preßte. Mutters Hüte hatten die Größe von Wagenrädern. Auch Onkel Walter kletterte in einem sportlich geschnittenen englischen Noppen-Anzug aus dem Wagen. Auf dem Kopf trug er eine blaue Prinz-Heinrich-Mütze, über deren schwarzem Lackschirm die Gläser einer riesigen Autobrille blinkten. Herr Janson schließlich war ganz in braunes Leder gekleidet und trug an den Waden Ledergamaschen, wie sie später zur Standardausrüstung des alten Feldmarschalls von Hindenburg gehörten. Wir stürzten dem Besuch entgegen und schielten zwischen langen Umarmungen und feuchten Küssen nach den Paketen und Päckchen, die sich auf dem Vordersitz des Wagens stapelten. Seid ihr mit dem Auto von Bremen...? Nein, sie waren nach einem kurzen Zwischenaufenthalt in Berlin gestern abend mit dem D-Zug gekommen, nur Herr Janson hatte die weite Strecke von Hamburg nach Königsberg mit dem Phaeton zurückgelegt und war schon vor zwei Tagen im >Deutschen Haus< eingetroffen. Herr Janson nickte ernst und sagte, daß er bis Schneidemühl fast ohne Panne gefahren sei, während ihm in der Polakei — Vater räusperte sich vernehmlich, aber Herr Janson überhörte das drohende Räuspern — eine Unmenge von Hühnern, Gänsen und Enten unter die Räder gekommen sei. Dabei machte er ein Gesicht, als sei er zufrieden, weder Wölfen noch Bären begegnet zu sein, die er bei uns auf den Straßen erwartet zu haben schien.
    Mutter hatte für die Gäste einen kleinen Imbiß vorbereitet, nur eine Schüssel Rührei und eine Platte mit Schinken, Räucheraal und Kaiserjagdwurst.

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