Fröhliche Wiederkehr
es gerade bergab ging, war ihm auch noch der Bremshebel in den Fingern geblieben; er konnte den Wagen nicht zum Halten bringen, und so war ihm nichts anderes übriggeblieben, als den Phaeton zwischen zwei Chausseebäumen hindurch auf eine sumpfige Wiese zu lenken, wo er dann endlich im Morast stecken geblieben war, sich auf die Seite geneigt und sie alle vier herausgeschleudert hatte. Herr Janson brach sich dabei die rechte Hand, Tante Miekchen verstauchte sich den linken Fuß, und dann mußten sie naß und dreckig noch kilometerweit laufen, bis sie auf einen Bauern trafen, der sich nach langem Zureden gegen hohen Lohn bereit fand, sie nach Lyck zu kutschieren. Es war ein Philippone von der ganzen strengen Observanz, der Automobile als Teufelswerk verdammte und in dem Unfall die gerechte Strafe Gottes für ihr lästerliches Tun und Treiben sah.
Vater hörte geduldig zu und machte dabei ein Gesicht, als könne er dem Philipponen nicht ganz unrecht geben. Diese Philipponen waren eine merkwürdige Sekte religiöser Fanatiker. Sie wurden im 18. Jahrhundert aus Rußland vertrieben, weil sie den Militärdienst verweigerten und sich, mit Gewalt unter die Fahne gepreßt, selber verbrannten oder verstümmelten. Unter den toleranten preußischen Königen hatten sie wie Salzburger, Hugenotten und Wyclifianer in Ostpreußen Aufnahme gefunden und lebten in einigen Dörfern Masurens in strenger Absonderung mit ihren alten Bräuchen.
Mutter hat ihren Schwur, nie wieder ein Automobil zu benutzen, fünfundzwanzig Jahre lang gehalten. Dann gelang es mir, sie zu einer Fahrt nach Garmisch zu überreden, in meinem ersten Wagen, einem DKW-Cabrio, das ich seit einem Jahr besaß. Und ausgerechnet mir mußte mit Mutter im offenen Wagen an einem strahlend schönen Sommertag der erste Unfall passieren. Ein Motorradfahrer auf einer nagelneuen schweren BMW kam am Ortsausgang von Garmisch aus einer Seitenstraße herangebraust, bremste zwar mit aller Kraft, aber zu spät, fuhr mir in die Flanke, schoß aus dem Sattel und landete mit dem Kopf in Mutters Schoß.
»Und das war endgültig das letzte Mal!« sagte sie, stieg aus und fuhr mit dem Zug nach München zurück. Und um sie nicht wortbrüchig werden zu lassen, gelang es mir unter einigen Schwierigkeiten, daß sie nicht im Auto, sondern von Pferden zu ihrer letzten Ruhestätte gefahren wurde.
Ob Tante Miekchen und Onkel Walter noch einmal zu uns gekommen sind oder ob sie von Lyck aus gleich nach Bremen zurückfuhren, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Wenn sie uns noch einmal besuchten, so waren Herr Janson und der Phaeton auf keinen Fall dabei. Aber eines weiß ich genau, daß ich Besitzer eines goldenen Zwanzigmarkstücks war und daß mir das Gold in den Fingern brannte. Ich hätte mir dafür in den Spielwarengeschäften von Hannemann in der Junkerstraße oder bei Weiß in der Vorstädtischen Langgasse eine Eisenbahn oder eine Dampfmaschine kaufen können, aber größere Verlockungen strahlten die Schaufenster von Jarzymbowski aus, einer Bonbon-, Konfitüren- und Schokoladen-Fabrik, die in der Königstraße ein Ladengeschäft unterhielt. Auch meine Schwestern waren dort noch Stammkunden und holten sich von Zeit zu Zeit für zehn Pfennige aus dem Fabrikabfall eine riesige Tüte Bruchbonbons, von denen ich immer einen redlichen Teil abbekam. Es gab dort auch Schokoladenbruch, wovon das Pfund allerdings zwanzig Pfennige kostete. Für zwanzig Mark hätte ich mir fünfzig oder sechzig Tafeln der feinsten Schokoladenmarken kaufen können, aber ich war doch kein Verschwender. Also trat ich eines Tages in den Laden, warf mein Goldstück auf den Zahlteller und bestellte einen Zentner Bruchschokolade. Einige Pfunde davon nahm ich mit, den Rest ließ ich per Rollfuhrwerk an meine Adresse in der Ziegelstraße fahren.
Das Mißtrauen der Verkäuferin fand ich ziemlich unverschämt und beleidigend. Sie wollte genau wissen, woher ich das Goldstück hätte, und gab sich erst zufrieden, nachdem ich ihr lang und breit von meinem Onkel aus Afrika erzählt hatte, der zu uns im Automobil und mit eigenem Chauffeur gekommen war. Das schien sie zu beeindrucken und sie stellte keine weiteren Fragen mehr. Am nächsten Tag saßen wir ganz friedlich beim Mittagessen. Es gab eins von Vaters Leibgerichten, das ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, grüne Klöße mit ausgelassenem Räucherspeck und abgebräunten Zwiebeln; das Fett schöpfte Vater mit dem großen Suppenlöffel über die Klöße. Später, im Krieg,
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