Fröhliche Wiederkehr
den komplizierten Zeichen für das gotische F und H vor. Der Joachim Nissel, dem seine älteren Brüder einige Buchstaben schon vor Schulbeginn beigebracht hatten, stritt sich zwar manchmal mit Herrn Hoffmann, daß er vom F ganz andere Vorstellungen habe, aber es gelang Herrn Hoffmann letzten Endes doch, ihn davon zu überzeugen, daß das F so aussehen müßte, wie er es an die Tafel gemalt hatte. Ich begann für Herrn Hoffmann, der uns mit unendlicher Geduld zum Lesen und Schreiben hinführte, eine schwärmerische Zuneigung zu empfinden. Er war ein gutaussehender Mann mit kastanienbraunem vollem Haar, das er an der Seite gescheitelt trug. Er leitete neben der Volksschule auch den Turnunterricht in den mittleren Gymnasialklassen und unterließ es nie, wenn er uns zu Freiübungen auf den Schulhof führte, auf den Spruch hinzuweisen, der in goldenen Lettern an der Stirnseite der Turnhalle stand: MENS SANA IN CORPORE SANO -eiin jesunder Jeiist in eiinem jesunden Leiib, und er vergaß auch nie, hinzuzufügen, daß unser deutsches Vaterland auf einen gesunden Leib ganz besonderen Wert lege. Er lehrte uns auch eine Menge munterer Lieder: Wer will unter die Soldaten — der muß haben ein Gewehr — das muß er mit Pulver laden — und mit einer Kugel schwer. — Er sang uns die Strophen mit seinem volltönenden Bariton vor und begleitete uns auf seiner Geige, wenn wir den Text beherrschten. Vom Turnen hatte er einen federnden Gang und setzte die Füße stark nach außen, während er die Arme frei schwingen ließ, Daumen und Zeigefinger zierlich rundete und den kleinen Finger wegspreizte, als hielte er rechts und links die Henkel von Teetassen in den Händen. Ich versuchte seinen wippenden Gang und die edle Haltung seiner Hände solange nachzuahmen, bis Vater mich fragte, ob ich nicht ganz gesund sei und mir zur Erzielung einer Haltung, die er für wünschenswert hielt, seinen Spazierstock zwischen den Rücken und die angewinkelten Arme schob. Meinem Bruder Ernst muß der Name Hoffmann den Nerv getötet haben. Er stand kurz vor seinem Referendarexamen, saß daheim über seinen Büchern und gab Vater nicht mehr soviel Anlaß zu Klagen über alkoholische Eskapaden, dafür um so mehr über die Raufhändel, in die er andauernd verwickelt war. Die vorletzte Säbelpartie hatte ihm eine Terz auf den Kopf eingetragen, bei der ihm mit einem Teil der Schwarte ein Stück des Schädelknochens über der Stirn abgeplatzt war. Und bei der letzten Partie hatte ihm sein Gegner einen Streicher über die Brust verpaßt, an dem er noch laborierte, als er mich abfing und in seiner streng nach Jodoform riechenden Bude beiläufig fragte, ob ich wüßte, ob Herr Hoffmann verheiratet sei. Da er keinen Ehering trug, war ich davon überzeugt, daß er ledig sei. Wenn das so sei, meinte Ernst und zog ein Foto meiner Schwester Else aus der Brusttasche, dann müßte ich doch von dem Gedanken begeistert sein, Herrn Hoffmann näher an unsere Familie zu binden. Ich fand, daß das ein guter Gedanke wäre. Ernst war sichtlich erfreut, daß ich das nicht nur so rasch begriff, sondern auch lebhaft billigte, und er meinte, nun hätte ich nichts weiter zu tun, als Herrn Hoffmann Elses Bild zu überreichen und ihn vor der Klasse, wo er mir nicht mit billigen Ausflüchten kommen könne, zu fragen, ob er Else heiraten wolle. Er schärfte mir noch ein, den Eltern und vor allem Else nichts von unseren Plänen zu erzählen, damit es für sie eine richtige Überraschung würde, wenn sie durch mich zu so einem fabelhaften Mann käme, wie es Herr Hoffmann nun einmal sei.
Herr Hoffmann war wirklich ein fabelhafter Mann. Denn als ich ihm am nächsten Tag Elses Foto überreichte und ihn um seine Hand für meine Schwester bat, zeigte er sich nicht sonderlich überrascht — meine Klassenkameraden merkwürdigerweise auch nicht — sondern sagte, mein Angebot ehre ihn und er würde es mit Freuden annehmen, wenn er nicht schon verheiratet wäre und zwei Söhne hätte, die bereits in der Quinta und Tertia säßen. Es interessiere ihn aber sehr, ob der Vorschlag von meiner Schwester stamme. Darauf antwortete ich wahrheitsgetreu, daß ich eigentlich im Auftrag meines Bruders Ernst spreche. Da nickte er freundlich und fragte mich, was denn mein Bruder sei. Ich wußte von ihm nicht mehr zu berichten, als daß er Cimber sei, denn die Zugehörigkeit zu der Studentenverbindung Cimbria füllte das Leben meines Bruders so vollständig aus, als wäre Cimber zu sein ein Beruf wie Pastor
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