Fröhliche Wiederkehr
seufzte Mutter manchmal, sie wäre heilsfroh, wenn sie das Fett hätte, das Vater früher beim Klöße-Essen aus dem Schnurrbart getropft war. — Vater war mit dem ersten Teller noch nicht ganz fertig, als Anna ins Eßzimmer kam und meldete, vor der Tür stehe der Rollkutscher von Jarzymbowski, habe ihr einen Sack voll Schokolade vor die Wohnungstür gestellt und verlange eine Empfangsbestätigung. Bevor Mutter sagen konnte, es müsse sich um einen Irrtum handeln, erklärte ich frank und frei, das sei meine Schokolade, die ich von Onkel Walters Geschenk gekauft habe. Es entstand eine große Stille am Tisch. Vater legte den Löffel weg und fragte:
»Was hast du gekauft?«
»Einen Zentner Bruchschokolade...«
Eine von meinen Schwestern begann zu kichern. Vater verfärbte sich, er lief rot an und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Teller klirrten. Das Kichern verstummte und ich hatte das Gefühl, das Strohgeflecht meines Stuhles verwandle sich in einen Rost aus glühendem Eisen.
»Wo ist der Kerl?« schrie Vater.
»Er steht vor der Tür«, antwortete Anna.
Vater riß sich die Serviette vom Hals und stürzte hinaus.
»Mein Gott, was hast du bloß wieder angestellt!« seufzte Mutter und horchte ängstlich nach draußen, wo Vater den armen, unschuldigen Kutscher anbrüllte, er solle mit Sack und Pack verschwinden und sich nicht wieder blicken lassen. Und dann krachte die Haustür ins Schloß und Vater stürmte ohne Hut und mit seinem fett-triefenden Schnurrbart davon. Das Fräulein bei Jarzymbowski, das mir die Schokolade verkauft hat, wird diesen Tag in unguter Erinnerung behalten haben. Ich kann mir denken, daß Vater mit allen Paragraphen des Strafgesetzbuches gedroht hat, die irgend etwas mit dem Umgang und mit Geschäften mit Minderjährigen zu tun haben. Als er zurückkam, war ihm der Appetit vergangen, aber das Goldstück lag wohlverwahrt in seinem Portemonnaie.
»Ich hab’s deinem Bruder Walter gesagt, daß es ein unverantwortlicher Blödsinn ist, einem Kind zwanzig Mark in die Hand zu drücken — aber er wollte ja nicht hören!« knurrte er Mutter an. Mir warf er einen düsteren Blick zu und fuhr nach einer kurzen Kopfrechnung fort, er werde mir jeden zweiten Tag einen Dittchen aushändigen.
»Damit langt dir das Geld bis Weihnachten im nächsten Jahr! Hast du verstanden?«
Nicht ganz, dazu dachte Vater in zu langen Zeiträumen, aber ich war schon froh, daß er mein Goldstück nicht ganz beschlagnahmt hatte, und schnüffelte Tränen und sonstige Feuchtigkeiten in der Nase hoch. Tatsächlich holte ich mir jeden zweiten Tag meinen Dittchen ab, und Vater gab ihn mir anstandslos. Ich lief damit nicht mehr zu Jarzymbowski, denn das Fräulein scheuchte mich beim ersten Besuch mit drohenden Gebärden aus der Tür, ich wechselte als Kunde zum Kaufmann Korn über, bei dem man Bonbons auch sehr preiswert einkaufen konnte. Es gab damals, hauptsächlich vor Drogerien und Bäckerläden, eine Sorte von Automaten, wo auf einem rot lackierten Sockel eine buntgefiederte eiserne Henne saß. Warf man ein Zehnpfennigstück in den Schlitz auf ihrem Rücken, dann bewegte die Henne den Kopf, als ob sie gackern wolle, und legte ein blechernes Ei, das mit schäbigen Bonbons gefüllt war. Aus irgendeinem Grund hatten diese Blecheier unter uns Kindern einen fabelhaften Tauschwert. Für ein Ei bekam man zehn große Glasmurmeln oder drei feuervergoldete Marineknöpfe, mit denen wir >Nipperchen< spielten. Bei diesem Spiel wurde solch ein Knopf in einiger Entfernung von einer Wand auf die Erde gelegt und die Spieler mußten versuchten, ihren Knopf so geschickt an die Wand zu schnellen, daß er beim Rückprall den Knopf auf der Erde traf. Traf man ihn, so hatte man den anderen Knopf gewonnen. Da ich meinen letzten Marineknopf gerade an den Alfred verloren hatte, beschloß ich eines Tages, meinen Dittchen nicht bei Kaufmann Korn, sondern in eine Henne zu investieren. Ich ließ das Zehnpfennigstück in den Schlitz der eisernen Henne klingeln, die vor dem Laden von unserm Bäcker Bartning stand. Die Henne wackelte brav mit dem Kopf und legte ihr Ei — aber zugleich mit dem Ei gab sie mir meinen Dittchen mit heraus. Er fiel in die kleine Auffangschale unter ihrem Schwanz, wo das Geld zurückkam, wenn die Henne leer war oder wenn man versuchte, sie mit einem Kupferstück zu betrügen. Und was sie da auswarf, war nicht irgendein Dittchen, der sich zufällig im Mechanismus verklemmt hatte, sondern es war meiner. Ich erkannte ihn
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