Fröhliche Wiederkehr
sofort an einer Kerbung des Randes wieder, die so aussah, als hätte jemand mit einem Messer einen winzigen Nickelkeil herausgeschnitten. Na, wunderbar! So etwas nannte man Glück. Ich konnte also aus der Henne noch ein Ei herauskitzeln.
Ich war kein besonders frommes Kind. Gewiß, die Eltern gingen hin und wieder zur Kirche, das gehörte sich so, aber im täglichen Leben brutzelten religiöse Gefühle daheim auf der Sparflamme. Vielleicht hatte Mutter in früheren Jahren eine stärkere Bindung an die Kirche gehabt, denn sie hielt darauf, daß ich ein kurzes Tischgebet und ein längeres vor dem Zubettgehen aufsagte. Wenn ich beim Tischgebet den Herrn Jesus zu Gast lud, schaute Vater, wenn es Kartoffelsuppe oder Lungenhaschee gab, mit gerunzelter Stirn starr in die Suppenterrine. — Als mir nun das Nickelstück auch nach dem zweiten Einwurf zugleich mit dem Ei aus dem Automaten fiel, da hatte ich das sichere Gefühl, daß der liebe Gott es mit mir gut meinte und mir mit dieser Münze einen Wunderdittchen beschert hatte. Und er ließ nicht aus! Ich leerte mit meinem Wunderdittchen im Verlauf einer Stunde sämtliche Automaten in der näheren Umgebung. Nicht nur die braven Hennen, der Wunderdittchen bewährte sich auch an anderen Automaten, die für einen Nickel kleine Schokoladenstangen, Pfefferminzbonbons oder Krokantriegel herausgaben. Als ich mich endlich daheim einfand, quollen mir die Süßigkeiten aus allen Taschen und, als ich den Gummizug meiner Kieler Bluse streckte, auch aus ihr heraus.
»Wo hast du all das Zeug her?« fragte Vater verblüfft, als ihm die Blecheier und Automatenpäckchen vor die Füße rollten.
»Ich habe einen Wunderdittchen!« stammelte ich atemlos, »ich kann ziehen und ziehen, wo ich will, er kommt immer wieder mit heraus!«
Mutter wechselte mit Vater, der ganz ruhig blieb, einen langen Blick. Ihre Kehle bewegte sich dabei, als schlucke sie trockene Haferflocken.
»Gib den Dittchen mal her«, sagte Vater freundlich interessiert. Ich streckte ihm das Zehnpfennigstück zögernd hin, denn ich sah ihm deutlich an, daß er sich absolut weigerte, an ein Wunder zu glauben. Er betrachtete es lange, und als er es schließlich in der linken oberen Westentasche verschwinden ließ, da wußte ich, daß ich meinen Wunderdittchen für alle Zeiten verloren hatte. An den Vortrag, den er mir hielt, daß man auch an Automaten zum Dieb und Betrüger werden könne, erinnere ich mich nur undeutlich. Um so deutlicher an die Ohrfeige, die er mir gab, als ich ihn schreiend beschuldigte, mir meinen Wunderdittchen fortgenommen zu haben, um ihn fortan für sich selber zu verwenden. Lotte mußte die Eier und Päckchen aufheben und zählen. Es waren im ganzen noch dreiundsechzig Stück und mit jenen, die ich bereits im Magen trug, rund fünfundsiebzig. »Sieben Mark fünfzig...« sagte Vater schwer atmend und sah mich eindringlich prüfend an. »Nein«, fuhr er kopfschüttelnd fort und seufzte auf, »du bist kein Dieb und Betrüger — du bist einfach ein Trottel.« — Und dann wandte er sich an meine Mutter: »Verwahr das Zeug und gib es ihm in Gottes Namen nach und nach. Ich werde morgen die Geschichte mit der Automatengesellschaft in Ordnung bringen. Geb’s der Himmel, daß dieses hier der einzige Wundergroschen in der Stadt ist — sonst sind wir morgen ruiniert.«
Es ist anzunehmen, daß Onkel Walter bei seinem Europa-Urlaub auch Tante Grete in Stallupönen besucht und dort tief in die Tasche gegriffen hat. Er unterstützte sie seit Jahren, und sie hatte diese brüderliche Hilfe und Unterstützung auch wahrhaftig nötig. Sie war die jüngste Schwester meiner Mutter, und auch Mutter und Tante Elma halfen ihr nach Kräften und schickten ihr, was sie irgend entbehren konnten, Kleider, Wäsche, kleine Geldbeträge und Kindersachen, denn auch bei ihr waren die Kinder wie bei Großmutter in rascher Reihenfolge und zweimal als Zwillinge gekommen, aber von den acht Kindern, die sie geboren hatte, waren nur drei am Leben geblieben. Die Schuld am frühen Tod der meisten ihrer Kinder schrieb man ihrem Mann zu. Dieser Onkel Karl Morawski war kurz vor der Jahrhundertwende als junger Postbeamter zu einem Fortbildungskurs im Telegrafenwesen nach Berlin geschickt worden und hatte dort die rauschende Sylvesternacht zum Eintritt in das neue Jahrhundert erlebt, in dem uns der Kaiser herrlichen Zeiten entgegenzuführen versprochen hatte. In Berlin muß es in dieser Nacht hoch und noch höher hergegangen sein. In zahlreichen
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