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Fröhliche Wiederkehr

Fröhliche Wiederkehr

Titel: Fröhliche Wiederkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Biernath
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geholt haben.«
    Mutter nickte höflich, obwohl sie daran zweifelte, daß sich eine Laus oder auch zwei Läuse bei aller Fruchtbarkeit dieser Tierchen in so kurzer Zeit zu einem Lausegewimmel vermehren könnten. Sie untersuchte auch die Köpfe von Hans und Trudchen, konnte bei ihnen aber nichts Lebendiges entdecken. »Ich werde dem Walter nachher den Kopf mit Petroleum waschen und ihm eine Lauskappe aufsetzen, dann ist er die Bescherung morgen früh los.«
    »Damit die ganze Wohnung nach Petroleum stinkt!« knurrte Vater. »Nichts da! Wozu habe ich meinen Kohinoor? Ich werde den Bengel kahl scheren und damit hat sich’s ausgelaust.«
    In der Küche mußte Anna alte Zeitungen auf den Boden legen, in die Mitte wurde ein Stuhl gestellt, und das Walterchen wurde auf den Stuhl gesetzt. Er hatte eine Haarbürste wie aus Draht, und Vater ölte seine Haarschneidemaschine zur Vorsicht mit einem Tropfen von Mutters Nähmaschinenöl ein, damit die Schermesser den Jungen nicht allzu sehr ziepten. Vom Hinterkopf und von den Schläfen bis zum Wirbel ging auch alles glatt, aber im Wirbel selber blieb Vaters Kohinoor kläglich stecken, er war weder vorwärts noch rückwärts zu bewegen, der Junge brüllte wie am Spieß, und die Schraube, an der sich der Apparat auseinandernehmen ließ, befand sich an der Bodenplatte, so daß an sie nicht heranzukommen war. Vater begann zu schwitzen.
    »Du wirst den Jungen zum Luschnat bringen müssen, Ernst,« sagte er zu meinem Bruder, der die Prozedur bis dahin als Zuschauer mit Interesse verfolgt hatte. »Ich? Wie komme ich dazu? Da mußt du dir schon einen anderen suchen,« sagte Ernst und verdrückte sich aus der Küche. Und bei wem blieb es schließlich hängen? Bei mir natürlich. Vater drückte mir fünfzig Pfennige in die Hand, mir half kein Sträuben, dem brüllenden Walterchen wurde einer von Vaters breitrandigen Bismarckhüten über den Kopf gestülpt, der den im Wirbel hängenden Kohinoor verdeckte, und so führte ich meinen Vetter Walter zum Friseur Luschnat, jenem, dessen Sohn so gern mit Schiffen spielte und seiner Polypen wegen die Schulbank nicht mit mir zusammen drücken durfte. Der Laden war nicht gerade überfüllt, aber als ich meinem Vetter den Hut abnahm, ließ mich auch das wiehernde Gelächter der wenigen Kunden wünschen, im Boden verschwinden zu können.
    »Aha, Hausmacherarbeit!« stellte Herr Luschnat grinsend fest. Doch er machte sich sofort ans Werk, den Kohinoor vermittels einer Rasierklinge von der Kopfhaut zu lösen. »Und Läuse auch noch!« sagte er, »und was für Prachtexemplare!« Es war furchtbar peinlich; das einzig versöhnliche an der Sache war, daß ich das Fünfzigpfennigstück behalten durfte. Tante Grete blieb mit ihren Kindern vier Wochen lang bei uns zu Gast. Mutter bemühte sich, es sich nicht anmerken zu lassen, daß die vielen Menschen in einer Wohnung, die auf so viele Besucher nicht zugeschnitten war, sie mit der Zeit doch ziemlich nervös machten. Aber selbst, wenn sie einmal aus der Haut geplatzt wäre, hätte Tante Grete das mit ihrem heiteren Gemüt kaum bemerkt und nie auf ihre Anwesenheit zurückgeführt. Sie besuchte ihren Karl täglich, redete sich und uns ein, daß es ihm schon bedeutend besser gehe, aber als sie ihn dann endlich wieder abholen und heimnehmen durfte, war er genauso gelähmt und hilflos wie zuvor, nur, daß die Leiden der langen Behandlung sein blasses Gesicht noch bleicher gefärbt und die Furchen, die sich von den Nasenflügeln zum Mund zogen, noch tiefer gekerbt hatten. Vaters Stimmung lag tagelang hinterher tief unter dem Gefrierpunkt, und ich verdrückte mich nach Möglichkeit aus seiner Nähe, aber was ich für schlechte Laune hielt, war die tiefe Erschütterung über ein Schicksal, das ihn an Gott und an Gottes Güte und Barmherzigkeit zweifeln ließ.
    »Ich an seiner Stelle würde Schluß machen,« sagte er.
    »Grete hätte mehr Grund dazu,« meinte Mutter.
    »Sie muß abgrundtief dumm sein,« murmelte er kopfschüttelnd, »daß sie bei allem, was sie durchmacht, immer bei Humor und guter Laune ist.«
    »Und ich meine, daß sie fromm ist — nicht auf die Kirchenart fromm, weißt du, sondern irgendwie innerlich...«
    »Irgendwie!« brummte Vater, dem alles Unpräzise ein Greuel war, »aber frumm und dumm, da sehe ich nicht viel Unterschied.«
    Ich hatte in kurzer Zeit die Sache mit dem Wunderdittchen und mit der Bruchschokolade angestellt, und daß ich das für Herrn Luschnat bestimmte silberne

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