Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
Vom Netzwerk:
Minuten... vielleicht vier...
    Keine zwei Jazzparodien hintereinander! widerspricht der Instinkt. Herrgottnochmal, ich muß aufhören, neben mir zu stehen und das gleich doppelt.
    Schon läuft der Text, der gelernte, aber vier Minuten werden das nie! Die Leute bestimmten das Tempo... oder die Nervosität.
    Ich rede, schmücke aus, rutsche unvermittelt in sächsischen Dialekt — die Zuschauer brummen gutartig.
    Aha! Da sind Minuten versteckt!
    Der Mund formuliert Schwyzerdütsch, bringt einen Witz als Reiseerlebnis — gut eine Minute. Wohlwollendes Raunen. Also noch einen. Auf pfälzisch, dann rheinisch, schwäbisch — hier war die Soldatenzeit einmal nützlich.
    Aber was sind sieben Minuten? Mehr können es nicht gewesen sein, trotz freundlicher Aufnahme.
    Die Jazzparodie!
    Sprung ans Klavier, die Tasten geben Halt. Der Kopf ist weg, das Temperament berserkert. Beifall kommt auf. Offenbar für die physische Leistung.
    Noch eine Minute... zwei. Was dann? Das Klatschen trügt. Nur nicht weg vom Klavier! Es ist mein Bollwerk. Mit lautem Gebrüll Hechtsprung auf den Kasten. Wieso?
    Schwimmbewegungen lösen Heiterkeit aus.
    Wenn die wüßten, wie ich schwimme! Nur nicht denken jetzt! Machen! Machen! Machen! Aber was? Schwimmunterricht! Wie man sich über Wasser hält — in der Politik — in der Liebe.
    Die beiden überstrapazierten Conferenciersthemen erweisen sich als hilfreich. Mangels Pointen fange ich Sätze an und lasse sie vergurgeln, als ginge ich unter. Das Publikum sucht nach dem Sinn und lacht unsicher. Ob’s schon zehn Minuten sind? Jetzt weg vom Klavier! Was mach’ ich denn da? Eine Pantomime des Abtrocknens. Kommt an. Weiter! Allmählich müßte ich trocken sein, oder? Ich könnte noch Wasser im Ohr haben. In beiden...
    Plötzlich ist das Gehör weg. Der Kopf hat seine Kontrollfunktion aufgegeben.
    Rede ich? Was rede ich?
    Alles ist wie in Zeitlupe. Vielleicht spiele ich Zeitlupe, spiele mit der Zeit? Ein Lichtbildvortrag aus sämtlichen komischen Erinnerungen. Wieso fallen sie mir ein? Das Publikum wird undeutlich, bleibt aber da. Ich bin wie an einen Stromkreis angeschlossen, leuchte, spreche, zucke, esse, hüpfe, singe, steppe, turne, jodle, schnarche. Oder bilde ich’s mir nur ein? Alles geschieht gleichsam ohne mich.
    Ein Stromstoß.
    Da bin ich wieder! Aber wo? Die Bühne ist leer. Ich sitze weich... hinter mir brodelt es. Wohlmeinend. Wieso ziehe ich mir die Schuhe an?
    Ganz nah ein schrilles Frauenlachen.
    Ach so, ich sitze auf ihrem Schoß.
    »Des is d’ Frau Bürgermeister !« ruft jemand.
    Ich fühle mich klatschnaß. Man hat mich ins Wasser geworfen. Leute kommen nach vorn und drücken mir die Hand, reden durcheinander.
    Ein Blick auf die Uhr. Die Stunde ist um. Man hat mich geborgen.
    »Na sehen Sie !« Diese Stimme kenne ich. Der Veranstalter. Er holt mich ab.
    War das gestern?
    Unfälle vergißt man nicht. Am wenigstens die mit gutem Ausgang. Einmal durchgestanden und von Stund an glaubte ich, jederzeit wieder einen Abend aus dem Stegreif bestreiten zu können. So einfältig reagiert man auf Glück. Hilfreicherweise.

Der Onkel aus Amerika

    Damals wurde eine Weiche gestellt.
    Vor der Währungsreform steuerte Hunger unsere Hoffnungen in ein trügerisches Paradies. Ausschlaggebend für die Täuschung waren das Nebeneinander von Not auf der einen und Überfluß auf der andern Seite. Die Amerikaner — und durch sie ihre Verbündeten — besaßen alles, was das Leben angenehm macht. Gut beschuht kamen sie mit gefüllten Tüten aus ihrem Supermarkt, dem PX, stiegen in komfortabelste Autos und fuhren in warme Wohnungen ohne Enge. Sie taten es arglos, gemäß ihrem Lebensstil drüben in den Vereinigten Staaten.
    Die Selbstverständlichkeit ihres Auftretens, der saloppe Umgang mit zivilisatorischem Fortschritt irritierte, faszinierte und provozierte. Zigarettenpäckchen zu Stangen gepackt — wie verschwenderisch, dabei praktisch; Milch-, Ei-, Kaffeepulver in Dosen — wie haltbar und mühelos zuzubereiten; Nylon, das neue Gewebe, das nicht reißt, Gebrauchsgegenstände, vieles schon aus Plastik, mit dem uns noch unbekannten industriellen Designerchic.
    Ohne es zu wollen, gaben sie Anschauungsunterricht in Wunschdenken: Das sollte man haben! So sollte man leben! Fortschritt macht glücklich! Die Welt besteht aus Siegern und Verlierern, nicht nur im Krieg.
    Dem neuen Ideal vom selbstverständlichen Komfort am nächsten kamen erfolgreiche Schwarzhändler. Unvorsichtig deutlich demonstrierten

Weitere Kostenlose Bücher