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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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die Bühne zu gelangen und vor allem zurück. Es drückt die Stimmung, wenn Darsteller während der Vorstellung das Theater vor aller Augen verlassen. Zumal bei Zugpferden und mit denen sollte es ja beginnen.
    Das tat es auch. Fee von Reichlin und der ungemein beliebte Plauderer Fred Rauch sangen den Ohrwurm der Zeit, das Mariandl-andl-andl. Der Beifall übertraf alle Erwartungen. Eine Zugabe wurde trotz knapper Zeit für die Fahrt nach I unvermeidlich.
    »Benedikten...« flüsterte Fred Rauch dem Pianisten zu, ein Lied aus eigener Produktion, denn der Plauderer war auch ein vielgehörter Texter. Also sang das Paar das Lied mit dem alle Bergfreunde mahnenden Refrain An der Benediktenwand hat man einen harten Stand...
    Der Beifall war noch nicht verebbt, das Publikum wollte eine weitere Zugabe ertrotzen, da erschienen die beiden, mangels Leiter, auf dem Treppchen an der Seite. Ohne spanische Wand, dafür mit Koffer.
    »Wir kommen gleich wieder !« versprach der Plauderer. Obwohl das vorgesehen war, trauten die Nächstsitzenden seinen Worten nicht und murrten.
    »Des habt’s beim letzten Mal auch g’sagt !«
    In diese getrübte Stimmung fiel mein erster Auftritt. Unbekannt wie ich war, gelang es mir nicht, auch nur einen Anflug von Heiterkeit auszulösen. Ohne weitere Pointen zu verstreuen, machte ich meine Ansage für die nächste Nummer und unterließ auch den in solchen Fällen beliebten Conferenciersatz: »Empfangen Sie unser Tanztrio bitte mit dem Applaus, mit dem Sie mich hoffentlich in die Garderobe entlassen .«
    Das Piano perlte voraus, Tänzer und Tänzerinnen wurden gemäßigt beklatscht. Hinter den Kulissen auf und abgehend, memorierte ich meinen neuen Text, jene satten anderthalb Minuten, die in der Ansage des Pianisten als Parodisten gipfeln sollten. Hänschen Klein würde er spielen, beginnend ä la Beethoven, weiter über Mozart, Schubert, Strauß, bis zu Duke Ellington. Dann würden auch wir nach I verfrachtet.
    Draußen hüpften sie, daß die Bretter ächzten, da wurde beim zweiten Wiederkäuen meiner satten anderthalb Minuten an einem der Fenster eine Leiter angelegt. Es war noch hell.
    Na endlich.
    Der Fahrer unseres Lastwagens hatte sie aufgetrieben, gerade rechtzeitig für den Schichtwechsel. Die Künstler des nächsten Blocks warteten, der Enge wegen, drunten in der Gaststube.
    Ich öffnete beide Fensterflügel und stutzte. Wer da heraufstieg, war der Fahrer. Wollte er etwa auftreten? Bei seinem Dialektmundwerk wäre dem ehemaligen Knecht tosender Beifall sicher gewesen. Kurz vor dem Einstieg blieb er jedoch stehen, winkte mir, ich solle mich hinausbeugen und begann im Flüsterton: »An schönen Gruß vom Chef. Uns is a Wagen verreckt, ‘s kommt niemand mehr. Sie müssen allein weitermachen. Irgendwas, Hauptsach, daß a guate Stund dauert. Sonst wollen d’Leit ihr Geld z’ruck . Hat er g’sagt .«
    Auf der Bühne Schlußakkord. Mir blieb nicht einmal Zeit, daß mich der Schlag trifft. Ohne zu wissen, was ich sagen werde, stürze ich auf die Bühne, bringe den neuen Text und bekomme wohlwollendes Echo. Es hilft mir nicht, freut mich nicht. Nur weg hier! Abrupt leite ich in die Ansage über und gehe ab.
    Hinter der Bühne schnappe ich nach Luft, es hämmert in den Schläfen. Die Tänzer sind schon weg über die Leiter. Noch vier Minuten — man kennt die Nummern ja — noch vier Minuten, dann eine Stunde, mit ungefähr drei Minuten gelerntem Text aus einem anderen Programm. Dieser Scheißkarren!
    Da steht die Leiter... Und was dann? Schwimmen lernt man am schnellsten, wenn man ins Wasser geworfen wird...
    Wieder Atembeschwerden.
    Hänschen-Klein ist schon bei Strauß! Erst mal die drei Minuten... noch langsamer, wie der Michl sagt. Vielleicht werden’s vier...? Wenn ich überhaupt einen Ton rausbringe. Da kommt Little John Ellington... Ich hab doch auch eine Jazzparodie... aber meine Finger, so eiskalt wie die sind... Höchstens noch eine halbe Minute... und wenn ich ihm entgegentrete, damit er nicht abgeht... eine Zugabe erzwinge...? Unmöglich bei dem matten Beifall... Die wollen keine Jazzparodie... Jetzt! Im Krieg hab ich doch mal conferiert... auf der Krim... jetzt! Wo bleibt die Stimme?
    »Meine Damen und Herren. Oder ladies and gentlemen, wie man heute sagt...«
    Weg ist sie. Der Verstand hat sie abgeschaltet. Laß den Quatsch! Spring ins Wasser! Ans Klavier! Mach’ Jazzparodie, daß der Saal wackelt! Wenn du tobst, kommst du nicht zum Denken... und hast danach immer noch drei

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