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Fröhliche Zeiten

Fröhliche Zeiten

Titel: Fröhliche Zeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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zimmern, müßte er besonderes private Umstände anführen, eine zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit als Kriegsfolge dazu erfinden — und das hieße, eingestehen, daß er ihn kannte. Gut kannte. Aber woher? Ohne die geschäftliche Verbindung zu verraten.
    In seinen Bekanntenkreis paßte der Schwarzhändler nicht. Auch wohnte er in einem anderen Dorf. Gab es überhaupt einen Ausweg? Der Pulsschlag hatte angezogen, aller hanseatischen Kühle zum Trotz. Dies auch aus Zorn.
    Manfred Schmidt kannte den Richter und fürchtete dessen Fangfragen. Sie stammten noch aus dem bisherigen Repertoire. Wenn beispielsweise zwei Hungrige ein Kaninchen organisiert hatten, wollte er unbedingt wissen, ob da nicht ein Dritter dabeigewesen sei. Sofort bejahten die Angeklagten, weil sie dachten; Wenn mehrere daran beteiligt gewesen wären, dann würde die Strafe für den Einzelnen geringer ausfallen.
    Das Gesetz hat hier jedoch eine andere Logik: Bei zwei Tätern spricht es von Mundraub, bei drei von — Diebstahl.
    War einer in ein Gebäude eingedrungen, etwa in einen Hühnerstall, fragte der in seinem Denken noch nicht Entnazifizierte, ob es beim Öffnen der Tür gekracht habe. Hier Ja zu sagen, hielt der Delinquent für strafmildernd, zeigte es doch nach seinem Dafürhalten, daß er nicht geräuschlos wie ein Verbrecher vorgegangen war. Aber auch hier folgert das Gesetz anders: Wenn’s gekracht hat, gilt das Schloß als gewaltsam aufgebrochen — die Zeit hinter einem stärkeren Schloß wird länger.
    Sein Repertoire enthielt auch Fangfragen zu Gunsten des Angeklagten, wie beim Sohn eines Bürgermeisters, der ein Mädchen angefahren, aber nicht gehalten hatte — nach dem Gesetz Fahrerflucht. Ihm halfen die Fragen, ob er geblendet gewesen und später noch einmal an den Unfallort zurückgekehrt sei. Der junge Mann war tatsächlich zurückgekehrt, wenn auch, um mögliche Spuren zu verwischen. Er wurde freigesprochen.
    Solche Praktiken erbosten Manfred Schmidt und er bemühte sich stets, sie innerhalb der Spielregeln zu unterbinden: der Richter führt die Verhandlung, die Schöffen dürfen lediglich Fragen stellen, um einen Eindruck zu gewinnen. Er kann bei der anschließenden Beratung ausschlaggebend sein.
    Diesmal jedoch hatte Schöffe Manfred keine Fragen. Nur nicht die Aufmerksamkeit auf sich lenken! Kein Mißverständnis provozieren!
    Erst bei der Beratung in einem Hinterzimmer setzte er sich für den Angeklagten ein. Der Richter knabberte an einem trockenen Brötchen. Schöffe Manfred stimmte ihn milde, indem er eine Scheibe Schinken drauflegte und ihm anschließend eine amerikanische Zigarette anbot — Schätze aus einem Care Paket, wie er sagte. In Wirklichkeit stammte beides vom angeklagten Schwarzhändler.
    Leider blieben die Genüsse ohne Einfluß auf das Urteil. Bei der Verkündung — zwei Monate Haft — senkte Manfred Schmidt den Blick. Der Mann wurde abgeführt. Er hat ihn nie mehr gesehen. Doch es blieb ein Stachel. Der Reporter und Zeichner übersiedelte nach München, die Währungsreform hatte das Land überrollt, da saß er eines Abends mit Walter Kiaulehn beim Wein. Sie sprachen über die verfilzte, gestrige Justiz im jungen, demokratischen Provisorium. Was müsse geschehen, um dem Bürger fürderhin Gerechtigkeit zu garantieren?
    Walter Kiaulehn fand die Lösung: »Es gibt nur eine Gerechtigkeit — straßenweise einsperren. Alle. Jeder hat mal was getan, wofür er eigentlich sitzen sollte. Ergo muß jeder gesessen haben .«
    Der Ex-Schöffe erinnerte sich an einen verschärften Arrest beim Militär. Seitdem ist die Bißwunde in seinem Gewissen verheilt.

Die Wende zum Wunder

    Im Kalender hat die Wende zum Wunder ihr festes Datum. Es ist der 20. Juni 1948, der Tag der Währungsreform. Nicht nur das Geld wurde 10:1 umgetauscht, auch die Kultur gegen die Konjunktur. Über Nacht waren die Schaufenster der Geschäfte prallvoll, die Zuschauerräume der Theater leer.
    Die Kapitulation des Ideellen vor dem Materiellen, der Schritt vom Sein zum Haben fiel paradoxerweise mit dem Zeitpunkt zusammen, da das gesamte Volk von pekuniären Möglichkeiten am weitesten entfernt war. Auf 40,- D-Mark in der Hand zusammengestutzt, standen wir praktisch wieder auf der Straße.
    Von was die Miete bezahlen, die zehn Tage später in der neuen Währung fällig wurde? Wie alte Schulden berappen, die sich durch die Abwertung mehr als verdoppelt hatten? Und wovon den Unterhalt bestreiten?
    Trotz Dauerkrise hatte man sich so schön

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