Frösche: Roman (German Edition)
und machte ein Da kann ich beim besten Willen nicht helfen -Gesicht.
»Du mieser Scheißkerl! Du schaust seelenruhig zu, wie ich mir mein Grab schaufeln muss.«
»Du verlangst von mir Beihilfe zum Mord!« Er flüsterte: »Ein sechs Monate alter Fötus! Kann durch die Bauchhaut schon Papa sagen!«
»Hilfst du mir oder nicht?«
»Du glaubst, ich könnte einfach mal so bei Augenbraue vorbeigehen?«
»Aber zu Nase kannst du doch hingehen. Bestell ihm meine Worte. Damit er zu ihr geht und es ihr beibringt.«
»Renner, Nase findest du ganz einfach. Er steht jeden Tag am Niangniang-Tempel und bettelt. Abends kauft er sich von dem erbettelten Geld Schnaps und nimmt im Vorbeigehen noch ein Brot von mir mit. Du kannst hier sitzen bleiben und auf ihn warten. Oder du gehst da rüber und wartest auf ihn. Aber ich hoffe sehr, dass du es ihm nicht sagst. Es wäre ohnehin vergeblich. Wenn du barmherzig bist, dann quälst du ihn nicht mit solchen Dingen.
Die ganzen Jahre über habe ich die Erfahrung gemacht: Hast du heikle Probleme zu lösen, ist die gangbarste Methode immer:
Ohne Erwartungshaltung zusehen, was sich tut,
und mit dem Strom schwimmen.«
»Gut! Dann lenke ich mein Boot stromabwärts.«
»Die Monatsfeier für deinen Sohn richten wir hier aus, Renner. Das wird schön.«
10
Als ich wieder auf der Straße war, fühlte ich mich doch erleichtert.
Es stimmte, es würde nur ein Kind geboren werden, nichts weiter würde geschehen. Die Sonne würde weiter scheinen, die Vögel weiter jubilieren, die Blumen weiter blühen, das Gras weiter sprießen und der Wind wie immer mit sanfter Brise wehen.
Auf dem Tempelvorplatz war die Ehrengarde der Kinder schenkenden Niangniang gerade dabei, sich wie die Flügel bei einer Wildgans in zwei Reihen aufzustellen, während die Musiker und Opernsänger spielten und sangen, dass die Erde bebte.
Viele Frauen, die sehnsüchtig auf ein Kind warteten, drängten nach vorn, weil sie hofften, diesmal das ersehnte Kind aus der Hand der Niangniang empfangen zu können.
Diese Menschen besangen in höchsten Tönen die Fruchtbarkeit und das Gebären, sehnten sich nach nichts mehr, als nach einem Kind, feierten es überschwänglich; und ich war in Nöten, grämte mich, hatte vor Sorgen keine ruhige Minute mehr, weil jemand von mir schwanger war.
Dafür gab es nur eine Erklärung: Ich hatte es hier nicht mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun, das Problem lag bei mir selbst.
Sugitani san, ich entdeckte Nase und seinen Hund hinter der großen Säule rechts am Eingang zur Tempelhaupthalle. Diesmal war es ein großer Schäferhund mit schwarz geflecktem Fell, ein deutlich edlerer Hund als sein erster, der auf der Straße sein Leben für ihn gelassen hatte.
Warum hatte ein wunderschöner Schäferhund von so edler Abstammung einen Pennbruder zum Gefährten gewählt? Das bleibt wohl ein Geheimnis. Aber wenn man’s sich recht überlegt, ist es nicht verwunderlich.
Nordost-Gaomi ist wie alle jüngst erschlossenen Gebiete: Die eigenen Methoden sind mit den fremdländischen bis zur Unkenntlichkeit vermengt. Denn trägt der Fluss die gute Tonerde und den schlechten Sand nicht zusammen zum Meer? Schön und hässlich sind schwer zu unterscheiden, ob ja oder nein, richtig oder falsch, lässt sich nicht mehr trennen.
Es gibt hier viele Neureiche, die der Mode hinterherjagen. Gerade reich geworden, wollen sie am liebsten ein Tigerbaby anschaffen und als Haustier halten; wenn sie pleite sind, möchten sie die eigene Frau verkaufen, um damit ihre Schulden zu tilgen. Auf der Straße sieht man viele streunende Hunde, Hunde die auf der Flucht sind, viele reinrassige, aus einer berühmten Zucht stammende, ungemein teure Tiere, die noch vor kurzem einer wohlhabenden Familie gehörten.
Es ist die gleiche Situation wie Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, als nach dem Ausbruch der russischen Revolution viele vornehme weißrussische Damen, darunter zahlreiche Adlige, in Harbin sesshaft wurden, um wohl oder übel eine Bäckerei aufzumachen, sich als Bardame oder Prostituierte zu verdingen oder einen Kuli aus der Unterschicht zu heiraten. Deswegen kamen damals in Harbin etliche russisch-chinesische Mischlingsbabys zur Welt, und Nases tief liegende Augen und seine große Nase haben wahrscheinlich mit dieser Epoche zu tun.
Dass der schwarz gescheckte Schäferhund zum Gefährten Chen Nases geworden ist, ist also durchaus verständlich, weil sie sich beide ähneln. Das ging mir durch den Kopf, als ich die beiden
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