Frösche: Roman (German Edition)
und alle waren schon abgegriffen, mein großer, rosafarbener Schein aber stach daraus sehr hervor. Ich dachte bei mir: Keiner gibt ihm so freigiebig derart viel Geld! Ich war mir sicher, dass er dem frischen Schein besondere Beachtung schenken würde.
Sugitani san, ich muss schon sagen, ich war genau wie der, über den das berühmte Wort sagt:
Mit dem Herzen eines gemeinen Schurken
die Gesinnung eines Edlen prüfen .
Was musste ich sehen? War ich wütend! Ein vielleicht fünfzehnjähriger dunkelhäutiger, dicklicher Junge sprang hinter der Säule hervor, bückte sich nach der Blechschale, griff sich meine Banknote und war blitzschnell im Gedränge untergetaucht. Ehe ich es recht begriffen hatte, war er schon zwanzig Meter weiter die kleine Gasse neben dem Tempel Richtung Chinesisch-Amerikanische Mutter-und-Kind-Klinik entlanggerannt. Der Junge hatte geschielt. Er kam mir bekannt vor, irgendwo war er mir bestimmt schon mal begegnet.
Da fiel es mir wieder ein. Es gab keinen Zweifel. Im Jahr unserer Rückkehr, als diese Klinik eröffnet wurde, hatte ein kleiner Junge meiner Tante die weiß eingepackte Pappschachtel mit dem dünnen Frosch in die Hand gedrückt Meine Tante war damals vor Schreck in Ohnmacht gefallen.
Chen Nase hatte keinerlei Reaktion gezeigt. Sein Hund hatte den Jungen zwar angeknurrt und dabei den Kopf gehoben und zu seinem Herrn geschaut. Aber dann hatte er den Kopf auf die Pfoten gelegt und war still gewesen. Alles war wieder friedlich.
Ich war innerlich aufgewühlt, wegen Nase, wegen seines Hundes und auch meinetwegen. Denn es war schließlich mein Geld gewesen. Ich erzählte die Sache ein paar Passanten vor dem Tempel, um mir Luft zu machen. Aber jeder hatte mit sich selbst zu tun. Der Diebstahl hatte eben stattgefunden, wie ein springender Funke kurz geblinkt und keine Spuren hinterlassen.
Dieser Lump, der hier in Nordost-Gaomi unsere ländliche Unbescholtenheit kaputtmachte, würde mir nicht ungeschoren davonkommen. Wessen missratene Nachkommenschaft war das? Frauen drangsalieren und Menschen mit Handicap ausrauben! Das waren Untaten, die den Himmel beleidigten!
Ich hatte auch sofort erkannt, wie geübt der Junge war. Er hatte sicher nicht zum ersten Mal aus Nases Bettelschale gestohlen. Ich rannte los in die Richtung, in die er verschwunden war. Da vorne war er! Fünfzig Meter von mir entfernt. Er rannte nicht mehr. Er machte einen Luftsprung und riss einen Zweig von der Trauerweide ab, einen mit gänsekükengelben, zarten Blättchen, mit dem er durch die Luft hieb und auf den Boden schlug. Er schaute sich gar nicht um. Er wusste ja, dass die beiden Lahmen, Mensch wie Hund, ihn nicht verfolgen würden. Na warte, Freundchen, dich schnapp ich mir!
Er bog in den großen Bauernmarkt am Fluss ein. Die Überdachungen der Marktstände waren aus blass türkisfarbenem, durchscheinendem PVC . Unter den Dächern war das Licht gedämpft, und die Leute in den Gängen zwischen den Ständen bewegten sich wie Fische im blaugrünen Wasser.
Das Angebot war überreichlich; in vielen, vielen Reihen gab es einen Stand neben dem anderen. Der Markt war fast wie eine große Markthalle. Die Gemüsestände boten verschiedenste Sorten an, deren Namen ich nicht einmal kenne, obwohl ich aus einer Bauernfamilie stamme. Wenn ich an die Mangelwirtschaft von vor dreißig Jahren zurückdenke, entfährt mir ein Stoßseufzer, so froh bin ich, dass es damit vorbei ist. Der Junge kannte hier jeden Winkel und kam rasch vorwärts. Er rannte ungehindert zu den Fischständen. Ich beschleunigte meinen Schritt, um ihm auf den Fersen zu bleiben, und konnte gleichzeitig meinen Blick von den Fischen, Schildkröten, Shrimps und Krebsen in den Auslagen der Stände zu beiden Seiten des Gangs nicht losreißen.
Die wie kleine Ferkel in einer Reihe liegenden, silbern glänzenden Lachse waren aus Russland importiert. Die großen Vogelspinnen ähnelnden Wollhandkrabben, die ihre Krebsscheren weit aufgesperrt hatten, kamen aus Hokkaido. Es gab südamerikanische Hummer, australische Abalone und natürlich noch Unmengen von einheimischen Schwarzen Graskarpfen, Seebrassen, Gelben Adlerfischen, Goldenen Dorschbarschen. Das kräftig orangefarbene Fleisch der bereits filetierten Lachse lag auf weißem zerstoßenen Eis. Von den Fischbratereien duftete es wie immer köstlich nach gebratenen Meerestieren.
Der Junge kaufte an einem Stand, der gegrillten Tintenfisch verkaufte, einen Spieß Tintenfischfleisch und zückte meinen großen Schein, um
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