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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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damit zu bezahlen. Er bekam einen Schwung Scheine als Wechselgeld zurück. Dann reckte er den Hals, um die Tintenfischstücke in seinen Mund zu befördern. Er glich dabei dem Schwertschlucker auf dem Vorplatz des Niangniang-Tempels. Als er gewandt einen von dunkelroter Soße triefenden Tintenfischtentakel vom Spieß herunter schnappte, machte ich einen Satz auf ihn zu und packte ihn von hinten im Nacken.
    Ich rief laut: »Wo rennst du hin, Langfinger?«
    Er ging sofort in die Knie, befreite sich aus meinem Griff. Ich packte ihn flink am Handgelenk, aber er fuchtelte sofort wild mit dem Arm und ging mit dem vor Soße triefenden und mit Tintenfisch bestückten Metallspieß auf mich los.
    Ich zog meine Hand zurück. Er wand sich wie ein Schlammpeitzger, wie ein Aal und war fort. Ich preschte vor und bekam ihn an der Schulter zu fassen. Er warf sich mit Wucht herum, sein lumpiges T-Shirt war ratsch! entzwei und gab den Blick frei auf seinen öligen, dunklen Körper. Der stramme Junge mit entblößtem Oberkörper wie Makrelenhaut weinte laut. Seine Augen blieben trocken, aber er stieß ein lautes Wolfsgeheul aus, wobei er meinen Bauch mit dem Tintenfischspieß bajonettierte. Ich versuchte auszuweichen, schaffte es nicht, kriegte den Spieß in die Schulter. Zuerst tat es nicht weh. Aber dann spürte ich plötzlich einen scharfen Schmerz, dunkles Blut floss in Strömen aus der Wunde.
    Ich presste meine rechte Hand auf die Verletzung und schrie laut: »Ein Dieb! Er hat einen Schwerbeschädigten beklaut!«
    Der Langfinger brüllte wie ein Schwein, das abgestochen wird, und stürzte sich auf mich. Ein grauenvoller Blick, Sugitani san, ich hatte entsetzliche Angst und wich zurück, um irgendwo in Deckung zu gehen. Ich schrie ihn an, er stach zu und brüllte: »Du musst mir mein Hemd ersetzen! Du ersetzt mir mein Hemd!«
    Er füllte sein Geschrei mit zahllosen Kraftausdrücken, die ich niemals niederschreiben könnte.
    Sugitani san, dass meine Heimat Gaomi solche Nachkommenschaft hervorbringt, dafür schäme ich mich aufrichtig. Im Eifer des Gefechts griff ich mir eine Holztafel, auf der ein Fischhändler Angaben über Fischsorten, Herkunftsort und Preise vermerkt hatte, die ich als Schild benutzte, um die Angriffe des Diebs abzuwehren.
    Seine Spießattacken wurden immer brutaler, jeder Stoß war voller Mordlust. Auf mein »Tafelschild« gingen die Stiche in schneller Folge nieder, meine Rechte war blutüberströmt, weil ich sie nicht schnell genug in Sicherheit gebracht hatte.
    Sugitani san, mit der Zeit verlor ich die Konzentration. In meinem Kopf herrschte Chaos, ich war nur noch damit beschäftigt, zurück und seitlich auszuweichen. Oft stolperte ich, weil ich mit der Ferse einen Fischkorb traf oder an ein Brett schlug; fast wäre ich auf den Kopf gefallen.
    Wäre ich tatsächlich gestürzt, Sugitani san, hätte ich Ihnen jetzt nicht mehr schreiben können. Wenn ich wirklich der Länge nach hingeschlagen wäre, hätte mich dieser Junge, der wie ein Leopard kämpfte, zweifellos erstochen, oder ich wäre lebensbedrohlich verletzt ins Krankenhaus auf die Unfallstation gekommen.
    Ich muss ja zugeben, Sugitani san, dass ich an jenem Tag völlig verängstigt war, ich hatte richtige Panik. Meine Charakterschwäche kam deutlich zum Vorschein. Verzweifelt hielt ich nach beiden Seiten Ausschau, weil ich hoffte, dass mir die Fischverkäufer helfen, dass sie mich aus der Gefahr befreien und retten würden, aber sie schauten nur müßig zu, die Hände in den Hosentaschen. Andere machten sich einen Spaß, feuerten mich an und klatschten in die Hände.
    Sugitani san, ich war nicht mehr als ein Stück Müll, fürchtete den Tod und klammerte mich ans Leben. Ich verspürte absolut keinen Kampfgeist. Da lasse ich mich doch von einem nicht mal Fünfzehnjährigen so in die Enge treiben, dass ich nur noch weg will, höre mit einem Ohr immerfort mein eigenes lautes Weinen und Flehen, wie das Jaulen eines Hundes, der eine harte Tracht Prügel bekommt.
    »Zu Hilfe! Zu Hilfe!«, schrie ich in einem fort.
    Der Junge hatte längst aufgehört zu weinen und zu brüllen – er hatte sowieso nicht wirklich geweint –, er stierte mich nur mit seinen Kulleraugen an. Man sah fast kein Weiß neben seinen Pupillen, denn sie waren wie zwei fette Kaulquappen. Er biss sich auf die Unterlippe und musterte mich, blieb einen Augenblick stehen und trieb mich dann wieder vor sich her. »Zu Hilfe!«, schrie ich und hielt meinen Schild hoch. Mein Arm war schon wieder

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