Frösche: Roman (German Edition)
Hand. Noch auf Knien entdeckte sie die von Gugu auf dem Boden verstreuten Papierschnitzel, die sie hastig aufklaubte. Als hätte sie einen Schatz ausgegraben, kam sie damit auf die Beine.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte der Stationsleiter, derweil er das Papierknäuel entfaltete.
»Ein reaktionäres Flugblatt! Hier ist der Rest davon.« Damit übergab Huang die restlichen Papierschnitzel. »Der Republikflüchtling Wang Xiaoti hat es Wan Herz aus Taiwan geschickt!«
Die umstehenden Ärzte und Schwestern raunten vor Erstaunen. Der Stationsleiter war altersweitsichtig, er hielt den Handzettel weit von sich und bemühte sich, den richtigen Abstand zu finden. Wie ein Bienenschwarm drängten sich alle um dieses Flugblatt.
»Was guckt ihr? Als wenn’s da was zu sehen gäbe! Macht, dass ihr wieder an die Arbeit kommt! Ärztin Huang«, er packte den Handzettel sorgfältig weg, »komm mal mit in mein Büro!«
Während sie in seinem Büro verschwand, standen die Ärzte und Schwestern zu zweit, zu dritt zusammen und ergingen sich in Mutmaßungen. Als nun noch Gugus lautes Wehklagen aus der frauenärztlichen Station drang, kam mir bitter zu Bewusstsein, dass ich großes Unglück angerichtet hatte. Ich machte mich klein, aber ich drückte doch die Tür auf und trat zu meiner Tante in das Behandlungszimmer. Sie saß weinend am Tisch, mit dem Kopf auf der Tischplatte und hämmerte mit geballten Fäusten zu beiden Seiten ihres Kopfes auf den Tisch.
Ich sagte: »Tante, Mama schickt dir Hasenfleisch.«
Sie reagierte nicht, weinte immer nur weiter.
»Wein bitte nicht, Tante, probier das Hasenfleisch!«
Ich stellte das mitgebrachte Bündel auf den Tisch und öffnete das Tuch, um die Schüssel mit dem Fleisch neben Tantes Kopf zu stellen. Gugu wischte die Schüssel mit Schwung vom Tisch, die Schale zerbrach am Boden. Sie hob den Kopf und schrie mich gellend an:
»Geh mir aus den Augen! Geh weg! Ich will dich nicht sehen! Du Vieh!«
11
Ich sollte noch erfahren, welches Unglück ich heraufbeschworen hatte.
Nachdem ich aus dem Krankenhaus geflüchtet war, schnitt Gugu sich die Pulsader an der linken Hand auf und schrieb mit der rechten Hand mit ihrem eigenen Blut:
Ich hasse Wang Xiaoti . Solange ich lebe, gehört mein Leben der Partei, nach meinem Tode gehört mein Geist der Partei.
Als Huang Qiuya siegesgewiss wieder im Büro eintraf, reichte der Blutsee schon bis zur Tür, ein schriller Schrei, und sie ging bewusstlos zu Boden.
Sie retteten das Leben meiner Tante, aber sie musste eine Disziplinarstrafe einstecken. Grund dafür war der Vorwurf der Nötigung der Partei durch ihren Selbstmordversuch, nicht etwa die Unterstellung anhaltender Kontakte zu Wang Xiaoti.
12
Im Herbst 1962 erlebten wir in Nordost-Gaomi eine bisher einmalig reiche Süßkartoffelernte auf unseren dreißigtausend Morgen Ackerland. Die Äcker, die uns drei Jahre lang im Stich gelassen hatten und denen wir während dieser Zeit keine paar Körner abgerungen hatten, waren uns wieder gnädig und beschenkten uns wie früher großmütig mit reichen Gaben. In jenem Herbst ernteten wir auf einem Morgen Acker fünftausend Kilogramm Süßkartoffeln. Wenn ich an die Süßkartoffelernte in jenem Herbst zurückdenke, bin ich auch heute noch sofort heftig ergriffen. Unter jeder Pflanze fanden wir viele, viele Kartoffeln. Die schwerste Süßkartoffel unseres Dorfes hatte ein Gewicht von neunzehn Kilogramm, und unser Kreisparteisekretär ließ sich mit ihr zusammen für die Zeitung fotografieren; das Foto erschien auf der Titelseite der amtlichen Shandonger Tageszeitung Dazhong Daily .
Welches Geschenk diese Süßkartoffeln doch waren! Wunderbare Gaben! Wir hatten 1962 nicht nur eine Prachternte, der Stärkegehalt der Kartoffeln war auch besonders hoch. Sie wurden beim Kochen sofort wunderbar mehlig und besaßen einen feinen Maronengeschmack. Das Essen war für unseren Gaumen die reine Freude, angenehm zu kauen und zu schlucken, und mit reichlich Nährwert. Bei uns allen in Nordost-Gaomi türmten sich die Süßkartoffeln im Hof. In jedem Haus schmückten Drähte mit Süßkartoffelscheiben die Wände. Wir konnten uns sattessen, endlich wieder sattessen! Das Kauen von Gras und Rinde hatte ein Ende, und die todbringende Zeit der Hungersnot war auf Nimmerwiedersehen vorüber. Schnell wurden unsere Beine wieder flink, die Bäuche wieder flach und uns wuchs wieder Fleisch auf den Rippen. Allmählich setzten wir auch wieder ein wenig Fett unter der Haut an. Unser
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