Frösche: Roman (German Edition)
Beine schwer, knurrte mir laut der Magen, lief mir kalter Schweiß den Rücken hinunter, und mir wurde schwarz vor Augen. Die zwei Schalen dünne Reissuppe mit Wildgemüse vom Frühstück waren längst verdaut, und ich hatte argen Hunger. Dabei stieg mir gleichzeitig der Duft des Hasenfleischs durch das Einschlagtuch in die Nase. Welch widerstreitende Gefühle in meiner Brust: Mein eines Ich redete mir zu: »Koste ein Stück. Ein Stückchen weniger macht nichts aus.« Mein zweites unterbrach: »Nein! Du willst ein ehrliches Kind bleiben und auf deine Mutter hören.« Zum soundsovielten Mal hatte ich meine Hand schon am Knoten des Einschlagtuchs gehabt, um das Bündel zu öffnen, aber jedes Mal erschien mir das Gesicht meiner Mutter vor Augen. Zu beiden Seiten des Wegs von unserem Dorf bis zur Krankenstation standen Maulbeerbäume. Sie waren kahl, denn die hungernden Menschen hatten das Laub längst abgepflückt. Ich knickte mir einen Zweig ab und begann daran zu kauen. Der Saft hatte den bitteren Geschmack der Gerbsäure, ich konnte ihn nicht hinunterschlucken. Da bemerkte ich am Baumstamm eine Seidenraupe, die gerade frisch geschlüpft war, von der Farbe heller Eierschalen, die Flügel noch feucht. Ich freute mich, schmiss den Zweig fort, sammelte die Raupe ab und steckte sie, ohne nachzudenken, in den Mund. Seidenraupen gehören zu den erlesenen Zutaten einer feinen Küche, sehr nahrhaft sind sie obendrein. Sie werden frittiert oder pfannengerührt. Da ich sie roh und bei lebendigem Leibe aß, sparte ich das Feuer für den Ofen und die Zeit obendrein. Sie schmeckte so frisch und fein. Ich bin mir sicher, dass eine Raupe roh mehr Nährstoffe enthält als in gekochtem Zustand. Beim Gehen suchte ich mit den Augen die Baumstämme am Wegrand ab. Seidenraupen entdeckte ich keine mehr, dafür ein bunt und teuer bedrucktes, hochglänzendes Flugblatt, das ich vom Boden aufklaubte. Auf dem Papier war ein blendend aussehender junger Mann zu sehen, der eine hübsche, elfengleiche Frau im Arm hielt. Darunter stand zu lesen:
Der Jetpilot der kommunistischen Banditen, Wang Xiaoti, bricht mit der verbrecherischen Bande und wählt den lichten Weg. In den Dienstrang eines Majors erhoben, dient er in der Luftwaffe als Staffelkapitän. Er bekam als Auszeichnung eine Prämie von187,5 kg Gold und die berühmte Schlagersängerin Tao Lili zur Frau.
Ich vergaß den Hunger, es befiel mich eine solche Aufregung, dass ich am liebsten laut losgeschrien hätte. In der Schule hatte ich davon gehört, dass die Kuomintang mit Luftballons reaktionäre Flugblätter zu uns sandte. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas auflesen würde. Nie im Leben! Ich hätte mir nicht träumen lassen, dass sie so feines, wunderschönes Papier verwendeten. Und die junge Frau auf dem Foto war um einiges anziehender als meine Tante!
Als ich in der Krankenstation ankam, war die Tante gerade in einen Streit mit dieser Huang verwickelt. Huang mit der Riesenhakennase trug eine schwarze Hornbrille. Lippen hatte sie – dünn wie ein Strich. Beim Sprechen konnte man ihren blutergussfarbenen Rachen sehen. – Später ermahnte uns meine Tante immer: »Kinder, heiratet niemals eine, deren Rachen beim Sprechen zu sehen ist! Dann bleibt ihr lieber unverheiratet. So eine nehmt bloß nicht!« – Die Huang schaute so finster drein, dass es mir eiskalt den Rücken hinunterlief. Ich hörte, wie sie zu meiner Tante sagte: »Wie kommst du dummes Ding dazu, mich anzuweisen? Mich, die ich, als du noch Windeln getragen hast, bereits an der altehrwürdigen Fachhochschule für Medizin in Peking ausgebildet wurde?«
Aber Tante ließ das nicht auf sich sitzen und konterte: »Weiß Bescheid, du eingebildetes Kapitalistenfräulein. Und natürlich warst du als hübscheste Studentin bei euch bekannt und hast die Fahne hochgehalten, als die Japsen eure Schule besuchen kamen! Wahrscheinlich bist du noch mit den Offizieren der Japsen schwofen gewesen? Aber während du mit denen das Tanzbein schwangst, habe ich mich in Pingdu im Kampf gegen den japanischen Armeekommandanten Sugitani tapfer geschlagen.«
Huang lachte nur kalt: »Wer will das gesehen haben? Gab’s da wen, der zusah, wie du mit vollem Einsatz gegen den japanischen Armeekommandanten gekämpft hast?«
Gugu parierte: »Ist alles Geschichte, unser Vaterland ist mein Zeuge.«
Und in diesem Moment gab ich Hornochse, nie, nie, niemals hätte das passieren dürfen – niemand ist so dumm! –, meiner Tante diesen bunten Zettel in
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