Frösche: Roman (German Edition)
so treu bis in den Tod, zu Diensten ist. Die politischen Ziele unserer Führung sind eben nicht anders umsetzbar.«
»Es ist ja nachvollziehbar, dass es geschehen ist. Aber warum musste ausgerechnet sie es sein, die es getan hat? Als sie die Schere ins Bein gerammt bekam, dass das Blut spritzte, hat sie mir aber doch leidgetan. Immerhin ist sie meine kleine Cousine.«
Ich sagte nur: »Es musste wohl so kommen.«
2
Vater erzählte mir, dass sich nach Schwiegermutters Scherenstich die Wunde an Gugus Bein entzündet und sie hohes Fieber bekommen habe. Trotz des Fiebers sei sie mit ihrer Truppe unterwegs gewesen, um Wang Galle festzunehmen.
Eigentlich gehört der Begriff »Festnahme« zum Vokabular der Polizei und ist nicht ganz passend, aber im Grunde handelte es sich doch um eine Festnahme wie bei einem Verbrecher.
Bei Galle zu Hause war alles fest verrammelt, kein Hahn, kein Hund muckste sich. Gugu ließ das Tor aufbrechen und verschaffte sich gewaltsam Zutritt.
»Irgendjemand muss es deiner Tante gesteckt haben«, sagte mein Vater.
Sie humpelte zu den Wangs ins Haus hinein, ging zum Herd und lüftete den Deckel des Wok. Es war noch Reissuppe darin. Sie prüfte die Temperatur mit dem Finger.
»Aha, noch warm!« Gugu ließ ihr eisiges Lachen hören und brüllte: »Chen Nase! Wang Galle! Kommt ihr freiwillig raus? Oder soll ich euch wie Flöhe aus eurem Loch rauspicken?«
Kein Ton. Im Haus hätte man eine Stecknadel fallen hören. Gugu deutete auf den Wandschrank in der Ecke des Raums. Ein paar alte Kleider, sonst nichts. Sie wies ihre Leute an, alles hinauszuwerfen, so dass der Schrankboden sichtbar wurde. Dann griff sie sich ein Nudelholz und hämmerte damit auf den Boden ein. Ein paar Schläge und sie hatte ein Loch hineingehauen.
Sie brüllte wieder: »Kommt raus da, ihr Partisanen! Oder soll ich Wasser einfüllen?«
Zuerst kam die kleine Chen Ohr hervorgekrabbelt. Sie war kalkweiß im Gesicht, wie eine kleine Tempelschamanin. Sie weinte nicht, sondern lachte glucksend. Als Zweiter stieg Chen Nase aus dem Erdloch heraus. Sein Gesicht war voller Bartstoppeln, sein krauses Haar wirr, angezogen war er nur mit einem Schweißhemd, aus dem das Brusthaar hervorlugte. Er sah richtig heruntergekommen aus. Der Riesenkerl von einem Mann fiel plumpsend vor Gugu auf die Knie und schlug in einem Fort mit dem Kopf auf den Boden. Während er unablässig vor ihr Kotau machte, schluchzte er so markerschütternd, dass das ganze Dorf erzitterte.
»Tante, Gugu, meine liebste Gugu, sieh es so: Ich bin das erste Kind, das du auf die Welt gezogen hast! Bitte denk auch daran, dass Galle nur eine halbe Portion ist. Lass Gnade walten! Gib nur ein Zeichen mit deiner teuren Hand und verschone uns! Tante, meine Familie wird es dir in alle Ewigkeit mit Dankbarkeit vergelten, dir deinen Großmut und deine Tugend danken!«
Vater erzählte, dass alle, die dabei gestanden hatten, später berichteten, Gugu habe mit Tränen in den Augen geantwortet: »Chen Nase, mein lieber Nase, diese Angelegenheit hat mit mir persönlich nichts zu tun. Wenn ich zu entscheiden hätte, dann wär’s ja keine Frage. Wenn du meine Hand wolltest: Abhacken würde ich sie für dich! Und ich würde sie dir geben!«
»Tante, lass Gnade walten!«
Die kleine Ohr war ein kluges Persönchen. Sofort machte sie ihren Papa nach und kniete nieder, um vor Gugu Kotau zu machen. Sie wiederholte immer nur den einen Satz:
»Lass Gnade walten! Lass Gnade walten!«
Dann, fuhr mein Vater fort, sei da aber dieses Heer von schaulustigen Gaffern gewesen, allen voran Wuguan. Der habe mit seiner Schmalzstimme noch einen
draufgesetzt, als er begonnen habe, das Titellied aus dem Film Tunnelkrieg zu schmettern:
Tunnelkrieg! He! Tunnelkrieg!
Hunderttausend tapfre Soldaten im Hinterhalt.
In der grenzenlosen Ebene
wird Tunnelkrieg geführt.
Die japanischen Teufel werden vertrieben,
damit sie ein für alle Mal ausgemerzt sind.
Und dann habe er ein weiteres Lied aus der Mitte des Films angefügt:
Vergiss die Worte
deines Führers Mao Tse-tung nicht
und bewahre sie in deinem Herzen! «
Gugu wischte sich übers Gesicht und sagte mit versteinerter Miene:
»Es reicht, Nase. Mach schon, und hol Galle da raus!«
Er rutschte auf Knien zur Tante und umklammerte ihr Bein, seine Kleine tat es ihm nach und umklammerte Gugus anderes Bein.
Wieder hörte man Wuguan im Hof dieses Tunnelkrieg-Lied plärren:
In der grenzenlosen Ebene
wird Tunnelkrieg geführt.
Trauen sich die
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