Frösche: Roman (German Edition)
ausgeheilt, deshalb hinkte sie ein wenig.
In den paar Monaten, in denen ich sie nicht gesehen hatte, schien sie merklich gealtert.
Sie kniete vor Mutters Grab nieder und begann sofort laut zu weinen. Niemals vorher hatten wir sie so weinen sehen, wir waren ganz erschüttert. Kleiner Löwe stand ehrerbietig mit tränenfeuchten Augen an ihrer Seite, derweil ein paar Frauen zu ihr traten, sie beruhigten und ihr hoch halfen. Aber sobald sie sie losließen, warf sich die Tante gleich wieder vor Mutters Grab nieder und weinte noch herzzerreißender. Die Frauen, die sich bereits beruhigt hatten und nicht mehr weinten, ließen sich von Gugus Weinen anstecken. Alle traten wieder zum Grab und begannen von neuem. Sie weinten, dass Himmel und Erde erzitterten.
Ich bückte mich und zog Gugu hoch, Kleiner Löwe flüsterte mir zu: »Lass sie weinen, sie hat die Tränen zu lange zurückgehalten.«
Ich fühlte mich getröstet, als ich Shizis Anteilnahme spürte.
Dann hatte Gugu sich ausgeweint.
Sie erhob sich und wischte ihre Tränen ab: »Kleiner Renner, Vorsitzende Yang hat mich angerufen. Du willst deinen Dienst quittieren und die Truppe verlassen?«
»Richtig, ich habe mein Entlassungsgesuch bereits eingereicht.«
»Vorsitzende Yang wünscht sich, dass ich dich umstimme«, sagte Gugu. »Sie hat mit den leitenden Kadern aus der Stabsabteilung bereits alles abgesprochen. Du wirst in die Abteilung Geburtenplanung versetzt und bist sodann ihr unterstellt. Das bedeutet eine vorzeitige Beförderung in den Rang eines Reservebataillonskommandeurs. Sie schätzt dich sehr.«
»Das macht keinen Sinn mehr. Da schaufele ich lieber Scheiße, als dass ich zur Geburtenplanung gehe.«
»Hier liegst du falsch. Die Geburtenplanung ist auch ein Teil der Parteiarbeit. Sie ist genauso wichtig.«
»Tante, Ihr ruft bitte die Vorsitzende Yang für mich an und bedankt Euch an meiner Stelle für die Fürsorglichkeit. Aber ich werde lieber meinen Dienst quittieren. Ich mag meinen alten Vater und mein kleines Kind nicht allein zu Hause lassen. Wir müssen ja schließlich weiter zurechtkommen.«
»Nun verdirb nicht gleich alles, sondern überleg erst einmal in Ruhe. Ob du es dir wirklich leisten kannst, die Truppe zu verlassen? Am besten bleibst du doch dabei. Die Arbeit an der Basis ist schwer. Schau dir die Vorsitzende Yang Herz und schau dir mich an. Wir arbeiten beide für die Geburtenplanung. Sie pflegt sich und frönt dem Müßiggang. Und ich? Ich wühle mich hier durch, blutverschmiert und tränenüberströmt. Manchmal frage ich mich wirklich, was aus mir geworden ist.«
4
Ich gebe es ja zu. Ich bin jemand, der nach Ruhm und Profit giert. Ich töne groß herum, dass ich meinen Dienst quittiere, dass ich das Entlassungsgesuch eingereicht habe, ziehe es aber sofort wieder zurück, als ich von einer vorgezogenen Beförderung höre. Ich höre, die Vorsitzende Yang schätzt mich, und schon werde ich schwach.
Wieder zu Hause, erzählte ich meinem Vater davon. Er war ebenfalls dagegen, dass ich die Truppe verließ.
»Denn damals erwies dein Großonkel dem Kommandanten Yang eine Gefälligkeit und heilte sein Bein, und die Krankheiten von dessen Frau heilte er auch. Wenn du jetzt zu einer so hohen Beamtin gute Verbindungen hältst, sollten deine Zukunftsaussichten glänzend sein.«
Ich hielt zwar dagegen und brachte irgendwelche Einwände vor, aber ich hatte das gleiche Gefühl wie mein Vater.
Wenn wir gewöhnlichen Leute, wir einfachen Bauern, die keinem besonderen Geschäft nachgehen, uns einbilden, wir könnten uns mit einem Drachen oder Phönix verbinden, und das dann tatsächlich tun, kann man uns das ja wohl nachsehen.
Deshalb war ich, als mich meine Tante erneut aufsuchte, nicht mehr so stur.
Als sie mir wie früher schon einmal empfahl, Shizi zur Frau zu nehmen, begannen die Mauern in meinem Herzen zu bröckeln. Trotzdem tischte ich natürlich die Geschichte von Wang Leber und seiner inzwischen mehr als zehn Jahre währenden Liebestollheit auf.
Meine Tante sagte aber: »Ich habe keine Kinder, Renner. Für mich ist Kleiner Löwe wie eine leibliche Tochter. Sie hat einen ordentlichen Charakter, ein gutes Herz, ist mir unendlich treu. Ich würde sie doch nicht Wang Leber zur Frau geben.«
»Tante, es ist dir bestimmt nicht verborgen geblieben, dass er ihr, seit er 1970 den ersten Brief an sie abschickte, nun bereits zwölf Jahre lang immer wieder schreibt. Insgesamt an die sechshundert Mal, das hat er mir selbst gesagt. Um ihr seine
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