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Frösche: Roman (German Edition)

Frösche: Roman (German Edition)

Titel: Frösche: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Yan
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eine Belohnung von zweihundert Yuan ausbezahlt werde. Wichtige Hinweise auf ihren Aufenthaltsort würden mit hundert Yuan belohnt.
    Im Dorf entstand ein Durcheinander wie in einem Bienenkorb. Wie die Verrückten spuckten die einen in die Hände und legten fröhlich los. Andere grämten sich im Geheimen darüber.
    Vater sagte, es habe tatsächlich welche gegeben, die sich gerne die zweihundert oder hundert Yuan Belohnung verdient hätten. Die meisten aber hätten nicht richtig gesucht, nur draußen auf dem Feld zwei, drei Runden gedreht und kurz nach Wang Galle gerufen:
    »Galle, komm raus! Wenn du nicht rauskommst, haben die euer Geld bald bis auf den letzten Rest an die Leute verteilt!«
    So hätten sie ein paar Mal gerufen und seien dann nach Hause verschwunden, um an ihre Arbeit zu gehen. Abends hätten sie natürlich den Zuschuss abholen müssen, denn sonst hätte man ja Strafe zahlen müssen.
    »Ist Galle noch nicht gefunden worden?« fragte ich.
    »Wo soll man denn suchen? Ich schätze mal, sie ist über alle Berge. Doch wohin soll ein so kleines Persönchen laufen? Ein Schritt gerade mal zwei kleine Spannen lang, dazu ist sie noch hochschwanger.«
    Ich sagte: »Ich schätze, sie wird irgendwo im Dorf versteckt.« Nun flüsterte ich: »Vielleicht ist sie ja doch bei ihrer Mutter.«
    »Und darauf musst jetzt ausgerechnet du aufmerksam machen, oder wie? Die Leute in der Kommune«, so mein Vater, »sind so durchtrieben. Die würden am liebsten den gesamten Boden unter Wang Beins Haus einen Meter tief umpflügen und auch noch den Kang auseinanderreißen, um nachzusehen, ob er sie darin verborgen hält. Ich schätze mal, keiner wagt es, sie zu verstecken. Darauf steht eine Strafe von dreitausend Yuan.«
    »Ob sie auch nicht auf dumme Gedanken kommt? Sollte man mal im Brunnen oder am Fluss schauen, ob sie sich was angetan hat?«
    Vater widersprach: »Da unterschätzt du dieses kleine Persönchen gehörig! Da kannst du die gesamten Dörfler bei uns zusammennehmen, die reichen nicht an sie heran. Großherzig, duldsam und klug ist sie. Ihre Intelligenz übertrifft die eines Zweimetermannes um Längen.«
    Mein Vater hatte Recht, ich erinnerte mich an Galles lebhaftes kleines Gesicht. An ihren manchmal listigen Blick, ihre Verbissenheit und ihre starken Nerven. Besorgt sagte ich: »Sie ist wohl schon im siebten Monat?«
    »Deswegen dreht deine Tante ja so durch. Sie sagt immer, ist es noch nicht durch die Ofentür, so ist es nur ein Stück Fleisch, und da wird auf Teufel komm raus küretiert und ohne Wenn und Aber abgetrieben. Doch ist es erst durch die Ofentür, zählt es als Mensch. Dann macht es auch nichts, wenn ein Arm oder ein Bein fehlt. Ist es ein Mensch, genießt es den Schutz des Gesetzes.«
    Mir erschien im Geiste Galles Gestalt, nicht einmal einen Meter groß, mit dem riesengroßen Bauch einer Hochschwangeren, das kleine, scharfsinnige Köpfchen hoch erhoben. Auf ihren kurzen, zarten Beinchen trippelt sie schnell mit einem großen Bündel unter den Armen durch dorniges Gestrüpp entlang der öden Straße. Abgehetzt, auf der Flucht. Sehe vor mir, wie sie strauchelt, weiterrennt, sich umschaut, doch stürzt, sich aufrappelt, weiterrennt ... Oder wie sie in einem großen Fass sitzt, so einem, in dem die Bauern bei uns Sojabohnenpaste machen, schwer keuchend, während sie der brodelnde Fluss hin und her schaukelnd mit sich führt ...

3
    Drei Tage nach der Beerdigung meiner Mutter feierten wir nach altem Brauch das Grabfest. Alle Verwandten und Freunde kamen. Wir verbrannten vor ihrem Grab Figürchen aus Papier, kleine Menschlein, Pferde, sogar einen papiernen Fernseher. Zehn Meter von Mutters Grab entfernt befand sich Renmeis. Darauf sprießte schon in frischem Grün das Unkraut.
    Ein älteres Mitglied unserer Familie hatte mir gesagt, ich solle in die linke Hand eine Handvoll Reis, in die rechte eine Handvoll Hirse nehmen und so das Grab meiner Mutter mehrfach umrunden. Dreimal linksherum und dreimal rechtsherum. Dabei solle ich den Reis und die Hirse langsam über das Grab streuen und leise beten:
    Eine Handvoll frischen Reis
    und eine Handvoll Hirse
    geb’ ich für die Toten hin,
    damit sie es gut haben
    und glücklich werden.
    Meine Tochter folgte mir auf Schritt und Tritt und warf mit ihren kleinen Händen ebenfalls Hirse und Reis auf das Grab.
    Gugu, wie immer schwer beschäftigt, kam direkt von der Arbeit, Xiao Shizi folgte ihr mit dem Arzttornister auf dem Rücken. Gugus Bein war noch nicht ganz

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