Frohes Fest!
zurück und trank. Er saß stundenlang am Eßtisch und schüttete Whiskey in sich hinein, um die Angst zu unterdrücken. Wir konnten ihm keine Vorwürfe machen. Es war der Pech-Leschi. Jeden Tag veränderte sich das Pfefferkuchenhaus – sein Dach färbte sich grau, die Ecken rundeten sich ab, bis es wie eine Pilzhaube wirkte.
Schwester und ich spähten zum Fenster hinein und sahen einen Ring roter Augen um ein rotes Feuer versammelt; wir hörten geflüsterte Geschichten über Pie-eckwo und Schmertsch und den Todeszug.
Trotzdem hofften wir auf Besserung. Denn Oma Babka hatte versprochen, sie werde zurückkommen. Dann kam an Heiligabend das Telegramm. Schwester und ich nahmen es an der Tür an (Mutter und Vater waren nicht in der Lage dazu). Und darin stand, daß Oma Babka gestorben war.
Und was war Oma Babka? Nur die Seele und der Sinn all unserer Weihnachten. Sie trug das Geheimnis des Schnees in ihren Fingerspitzen, in ihren Augen das Rätsel der Leuchtkraft einer Kerze, in ihren zur Schale zusammengelegten Händen der heilige Duft der Pinien.
So schlich sich Weihnachten in unsere Leben.
Dunkelheit floß durch den Kamin, löschte das Feuer, dämpfte die Lichter. Schatten erhoben sich in jeder Ecke – Visionen von Mutter im Krankenhaus, blaß, kalt, tot; von Vater, der ziellos umherstreifte und schließlich erfroren in der Gosse lag; von Schwester und mir, allein im Waisenhaus.
Wir gingen auf Zehenspitzen ins Eßzimmer, wo Vater saß und Whiskey trank. Das Zimmer war dunkel und wir konnten seine Augen sehen, genau wie die rot-glühenden Augen der Pech-Leschi.
Dann schlichen wir in Mutters Zimmer, das mit Kerzen vollstand. Sie starrte aus dem Fenster. Und der Wind flüsterte.
Zum Untergang verdammt.
Das ganze Haus war in eine dunkle Flamme gehüllt, die uns verzehren würde.
Wir gingen in unser Zimmer, um zu weinen.
Schwester und ich fielen in einen unruhigen Schlaf. Aber es war zwischen drei und vier, als wir erwachten und den klagenden Laut hörten – wie Babies, die aus Einsamkeit weinen, wie eine Maus, die in den Krallen einer Eule gefangen ist.
Schwester öffnete das Fenster.
Ich rief ihren Namen dreimal: »Oma Babka!«
Schmertsch kreischte, als die Lokomotive langsam zum Stehen kam. Dann hörten wir das ›Tschaff, tschaff, tschaff‹ seiner zornigen Ungeduld.
Sie kam. Sie glitt durch den Wald, eingehüllt in ein blaues Lichtei, die Stufen hoch und ins Haus.
Unsere Freude schwand unter ihrem Zorn.
»Ihr habt versagt!« sagte Oma Babka.
Es hatte keinen Sinn, nach Ausreden zu suchen; wir hatten versagt.
»Können wir Mutter retten?« fragte ich.
»Können wir Vater retten?«
»Ist zu spät.« Oma Babka sah das Pfefferkuchenhaus an. Das runde Pilzkappendach wuchs auf einem kränklichen Stiel. Zwei rote Augen lugten aus dem einzigen noch vorhandenen Fenster ganz oben. »Außer …«
»Ja?«
»Antwortet Fragen. Was Weihnachten bedeutet?«
Schwester und ich zermarterten unsere Gehirne. Die ganze Zeit wuchs der Pilz vor unseren Augen; die Untergangsstimmung verdichtete sich. Verzierungen und Schnee und der Weihnachtsmann, dachte ich.
Gebratene Ente und gefüllte Stiefel und Pfefferminzstäbe, dachte Schwester.
»Geschenke!« sagte ich.
Der Pilz wuchs ein bißchen mehr; Gestank erfüllte das Zimmer.
»Schenken!« unterstützte Schwester mich.
Gelächter drang aus dem Fenster in der Pilzkappe.
Das blaue Plasmaei um Oma Babka herum explodierte in Blitzen, die wie Knallerbsen krachten. Zwei blaue Kugelblitze kamen taumelnd aus ihren Augen und jagten uns furchtbare Angst ein.
»Was ist größtes Geschenk kann geben?« brüllte Oma Babka. Sie zog ein langes Messer.
Unsere Gedanken verschmolzen und wir sahen Vater im Eßzimmer verwurzelt, ein Glas an seinen Lippen, und Mutter, die im Schlafzimmer von der Krankheit verzehrt wurde.
»Wir!« riefen wir. »Nimm uns statt dessen!«
»Opfer«, sagte Oma Babka. Sie ergriff unsere Hände und schnitt kräftig in unsere Daumen – vom Nagel bis zum Knöchel – und hielt die blutenden Finger über den tödlichen Pilz. Dampf entwich zischend der schlüpfrigen Oberfläche, der Pilz schrumpfte und drinnen schrien die Pech-Leschi.
»Das Blut der Unschuldigen«, sagte Oma Babka.
Der Pilz schrumpfte weiter und verschwand.
»Ist gut jetzt«, sagte Oma Babka. »Vater bekommen Arbeit wieder morgen. Mutter hat Wunderheilung.«
Ein klagender Schrei – wie von einem verwundeten Tier – erklang aus dem hinteren Teil des Hauses.
Das blaue Plasmaei
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