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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen: »Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir sahen nämlich seinen Stern im Aufgang und sind gekommen, ihm zu huldigen.«
    Als der König Herodes dies hörte, erschrak er und ganz Jerusalem mit ihm. Er versammelte alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes und suchte von ihnen zu erfahren, wo der Messias geboren werde. Sie aber sprachen zu ihm: »Zu Bethlehem in Judäa, denn so steht geschrieben d urch den Propheten: ›Und du, Bethlehem, im Lande Juda, keineswegs bist du der geringste unter den Fürstensitzen Judas; denn aus dir wird hervorgehen ein Führer, der leiten wird mein Volk Israel.«
    Da berief Herodes die Magier heimlich zu sich und erforschte von ihnen genau die Zeit der Erscheinung des Sternes. Dann sandte er sie nach Bethlehem und sprach: »Geht hin und forscht genau nach dem Kinde, und habt ihr es gefunden, so laßt es mich wissen, damit auch ich komme und ihm huldige.«
    Sie hörten den König an, zogen fort, und siehe, der Stern, den sie im Aufgang gesehen, ging vor ihnen her, bis er ankam und stehenblieb über dem Ort, wo das Kind war. Da sie den Stern sahen, hatten sie eine überaus große Freude. Sie gingen in das Haus, fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter, fielen nieder und huldigten ihm. Sie taten auch ihre Schätze auf und brachten ihm Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und als sie im Traum die Weisung erhielten, nicht zurückzukehren zu Herodes, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.
     
    Als 1951 Weihnachten näherkam, schien es, als solle diesmal Tommy diese Worte vorlesen, denn sein Vater bekam keinen Urlaub und würde wohl Weihnachten an jenem geheimen Ort verbringen müssen, an den ihn das Heer Anfang Dezember geflogen hatte. Tommys Mutter tat ihr Möglichstes, das Beste aus den Feiertagen zu machen. Sie begann sogar ein paar Tage früher mit den Festlichkeiten. Am 23. Dezember weckte sie ihn kurz vor Sonnenaufgang, steckte ihn – in Decken gehüllt – zusammen mit einem Picknickkorb in ihren Rambler und fuhr über die holprigen Feldwege den Hügel am Nordende der Stadt hoch. Oben setzten sie sich trotz der morgendlichen Kühle wie etwa ein Dutzend anderer Familien in den Sand, aßen Mutters Brathähnchen mit Kartoffelsalat und schlürften dampfend-heißen Kaffee – den ersten in Tommys Leben. Der Blitz überraschte ihn. Er bedeckte den gesamten Nachthimmel mit einer so grellen Helligkeit, daß er einen Moment lang glaubte, durch seine eigene Haut hindurchsehen zu können. Dann ließ das Licht nach, und er hatte erst einmal nur Flecken vor den Augen. Tommy stellte seinen Kaffee ab – er schmeckte außerdem auch zu bitter – und wollte gerade seine Mutter fragen, ob sie wirklich gerade eine Atombombe gesehen hätten, als der Knall über das Land fegte und den Boden unter ihnen erschütterte.
    »Das war prachtvoll«, sagte ein Mann, und dann applaudierte alles wie bei den Platzkonzerten im Park an warmen Sommerabenden. Tommys Mutter packte ihre Sachen ein. Tommy trug die Decke zum Auto und schlief den ganzen Rückweg über.
     
    Thomas hielt kurz inne. Sein Publikum lauschte gespannt. Sogar die Kellner beobachteten ihn, während sie die Kaffeetassen auffüllten. Sogar ein paar Bedienstete hielten sich in der Nähe der Türen auf, als wollten sie ebenfalls hören, was er las. Nur Jessica sah nicht hin. Sie betrachtete mit gerötetem Gesicht ihre Hände. »Es war an diesem Abend …«, fuhr Thomas fort.
     
    Tommy lag im dürren Gras des sogenannten ›Hofs‹, der sich um ihr Haus zog. Vor Sonnenuntergang hatte er geglaubt, am Himmel ein weiteres Licht zu sehen, aber seine Augen hatten den ganzen Tag über von dem Blitz geschmerzt, und seine Mutter deutete an – höflich, denn sie war immer höflich –, daß er sich das vielleicht nur einbildete. Tommy erledigte nach dem Essen den Abwasch und dann nahm er seinen Platz im Hof ein. Er suchte die ihm bekannten Sternbilder, bis er im Osten ein pulsierendes Licht sah. Je konzentrierter er hinblickte, desto größer wurde das Licht. Im Haus drinnen spielte das Radio leicht angekratzte Weihnachtsplatten und seine Mutter sang mit brüchiger, atemlos wirkender Stimme mit. Sie vergaß alles um sich, und er lag stundenlang da, während das pulsierende Licht heller und stärker wurde. Schließlich segelte es in einem Meer roter und grüner Funken über seinen Kopf hinweg und hinterließ einen Streifen vielfarbigen Nebels. Die Luft schien zu pfeifen, und der Boden

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