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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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Mitternacht sein sollte. Unser Zimmer lag zum Wald hin, und das Fenster befand sich genau über der Veranda. Wir drei hielten also Wache.
    »Ich lesen dies«, sagte Oma Babka und nahm ohne hinzuschauen irgendein Buch heraus. Sie setzte sich in den Schaukelstuhl am Fenster und gab vor, zu lesen. Sie hielt das Buch allerdings umgekehrt.
    »Blauer Mond geht auf in schwarze Himmel. Scheint in weite Felder bedeckt mit Schnee. Und jetzt Mond öffnen blaues Loch. Oma ist gehen mit Schwester und Bruder und fallen in blaues Loch durch blaues Licht in Land genannt Babuusch.«
    »Wo ist Babuusch?« fragte Schwester.
    »Gleich bei Ziloptka«, sagte Oma Babka ärgerlich. »Halt Mund jetzt zuhören!« Und sie nahm uns nach Babuusch mit und wir erlebten Abenteuer.
    Nach der Geschichte schaukelte Oma Babka. Durch das Quietschen des Schaukelstuhls hindurch hörten wir einen Morgenzug ankommen. »Ist Todeszug«, sagte Oma Babka. Schwester und mir lief ein Schauer über den Rücken.
    »Ihr hört Klicketti-Klack?«
    Schwester und ich nickten im Dunkeln.
    »Ist Schmertsch selbst, schnappt mit Finger, damit Zug schneller fahren. Mag nicht bleiben auf Erde lang.«
    Oma Babka behauptete, man könne am Ton der Eisenbahnpfeife hören, wohin der Zug fahre. Wenn es ein Heulton war, wie alle Trauernden zusammengenommen, dann fuhr er nach Pie-eckwo. Klang der Ton nach einem Knabenchor, der einen Jubelgesang losließ, dann fuhr er nach Nieh-bo.
    Der letzte Ton des Todeszugs zitterte wie der Atem in der Brust einer Lerche und war vorbei. Schwester und ich bekämpften den Schlaf. Wir trieben in Träume hinein und wieder heraus: Oma Babka, die auf der Milchstraße schaukelte und ihr Pulver verstreute. Daraus wurden blaue Sterne, die den leeren Himmel füllten.
    Zwischen drei und vier hörten wir Schritte in der Mondnacht, die Stille eines tickenden Uhrzeigers … klick klick klick
    … um das Pfefferkuchenhaus.
    Dann Stimmen – Silberglöckchen, die im Wind bimmelten; Lachen, rein und brüchig wie Hagel auf Eis.
    »Sie sind drin.«
    Oma Babka erhob sich. Sie ging die Treppe hinunter und auf Zehenspitzen zur Veranda, wo sie ganz vorsichtig das Pfefferkuchenhaus aufhob. Als sie es ins Haus brachte, schliefen Schwester und ich bereits.
     
    Am folgenden Tag stand das Pfefferkuchenhaus auf dem Wohnzimmertisch.
    Im Tageslicht sah es noch eindrucksvoller aus. An den Pfefferkuchenstücken hingen rote Pistazienkerne, die mit Zuckerguß an die Ziegel wände geklebt waren. Obenauf saß ein Strohdach, das mit weißem Zuckerguß in Form von Schneewehen überzogen war. Von den Rändern hingen angeschmolzene Zuckerstücke als Eiszapfen.
    Aus dem Schornstein (der aus zusammengeklebten Gummibonbons bestand) erhob sich eine ganz feine Rauchwolke. Das war der erste Hinweis darauf, daß die Leschi es sich innen bequem gemacht hatten.
    »Pinie«, sagte Schwester, als sie in den Rauch schnupperte. »Pfefferminz«, sagte ich schnüffelnd.
    Und wir rochen all die besonderen Gerüche, die zu Weihnachten gehören: Orangensauce und Weihrauch, Rotwein und Kerzenwachs, Ente und Zitronenlikör, bis Oma Babka uns wegscheuchte.
    »Stört die Glücksieschi nicht«, zischte sie. »Wenn sie sich aufregen, könnte das heißen …« Sie beendete den Satz nicht.
    »Was?« fragte ich.
    »Sie ziehen aus.«
    »Und?«
    »Unglück kommen herein.«
    Sie sagte uns eine Zeit (Sonnenuntergang), wo es in Ordnung ging, wenn wir hineinspähten.
    Und in diesem besonderen Jahr (unserem siebten), von dem wir erzählen, beobachteten wir eine fünfköpfige Familie im Haus. Es war nicht leicht, das Geschlecht eines Leschi zu bestimmen. Jeder trug einen Bart – die Erwachsenen blaue, die Kinder weiße. Aber diese Familie schien aus Vater, Mutter, Schwester, Bruder und einer winzigen Großmutter zu bestehen.
    In ihrem Kamin brannte ein Feuer, aber keine normale Flamme. Das Leschi-Feuer war eine helle, funkelnde Flamme von ständig wechselnder Farbe – Blau zu Gold zu Silber – die im Kamin die würzigen Düfte erzeugte.
    Der Leschi-Vater erzählte eine Geschichte: »Auf weitem Feld mit Schnee bedeckt ist hell-großer blauer Mond. Blaues Loch öffnen in Schneewehen. Oma geht mit Bruder und Schwester und fallen in Loch nach Babuusch. Dort sie erleben Abenteuer …«
     
    Schwester und ich können einiges von dem Glück berichten, das wir hatten, wenn Leschi im Pfefferkuchenhaus wohnten. Vom Erntedankfest bis Weihnachten (obwohl das Pfefferkuchenhaus bis zum Frühling stehenblieb) war die

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