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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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diese Tradition hielt an, bis wir sieben waren.
    In diesem Jahr geschah das, wovon ich erzählen will. Es war das Jahr, in dem das Pech uns zu verfolgen begann.
    »Bruder, bring Scheren!« sagte Oma Babka. Sie brachte uns ganz schön in Schwung. »Schwester hol Spachtel und Messer!«
    Oma Babka war barsch. Sie sagte, was sie dachte. Sie bat nicht, sondern schnauzte uns an, wenn sie Aufträge für uns hatte.
    »Schwester, Eier! Bruder, Mehl!«
    Sie hatte das Gesicht eines verhutzelten Äffchens mit Geschwülsten und Warzen und Muttermalen, aus denen Haare sprossen, so daß es aussah, als lebten winzige Tierchen auf ihrem Gesicht.
    »Bratpfanne, Bruder! Spritzbeutel, Schwester!«
    Einst hatte sie prall und robust gewirkt, aber mittlerweile war sie geschrumpft und bewegte sich nur, soweit es notwendig war. (»Ich habe alles Wasser aus meinem Körper entfernt«, flüsterte sie eines Tages meiner Schwester und mir geheimnisvoll zu. »Wie Stockfisch – es macht mich haltbar.«)
    »Zucker, Gummibonbons, Pfefferminzstangen, Pistazien!«
    Aber Schwester und ich hatten Oma noch lieber als Schneefall an einem Schulmorgen. Lieber als alle Süßigkeiten zu Weihnachten.
    Wenn sich die Küche dann im richtigen Stadium des absoluten Chaos befand, mit herumwirbelnden Mehlwolken, klappernden Pfannen und Kochutensilien, die auf den Boden fielen, verkündete Oma Babka: »Mund halten!«
    Schwester und ich sahen zu, wie sie das Ritual der Vorbereitungen zelebrierte. Wie der Zeremonienmeister beim japanischen Tee arrangierte sie jedes Werkzeug, jede Zutat nach einem festen, lange vorbereiteten Plan. Dann und nur dann konnte der Bau des Pfefferkuchenhauses wirklich beginnen.
    Nun wählte Oma jedes Jahr einen anderen Haustyp aus. In einem Jahr war es ein Schlößchen, in einem anderen ein Bungalow oder dann wieder eines im Queen-Anne-Stil mit ganz feinen Verzierungen. Dieses Jahr sollte es ein Haus ›aus der alten Heimat‹ sein.
    Zuerst mischte sie den Pfefferkuchenteig für die Wände. Während diese im Backofen steckten, bereitete sie den Zuckerguß.
    »Zement«, nannte sie ihn.
    Den mixte sie aus Eiweiß, Weinsauce und Puderzucker zusammen. Mittendrin kam Mutter herein. Sie summte ein unbekanntes Lied, sah Schwester und mich wehmütig an und verzog sich wortlos wieder.
    Dann nahm Oma Babka die Pfefferkuchenwände aus dem Ofen und hielt sie in ihren Händen wie ein Priester die Hostie beim Abendmahl. Die Wände wurden auf Karton aufgeklebt. Die Fenster kamen in die gegenüberliegenden Seitenwände. (Klar wie Glas, aus Kristallzucker gefertigt. Schwester und ich nannten sie unsere Hineinguck-Fenster.)
    Als das Dach aufgesetzt wurde, wachte Vater auf und kam herein. »Laß sie nicht zu lange aufbleiben«, grollte er.
    Er konnte Oma Babka nicht sonderlich leiden. Wenn sie im Haus war, war seine Autorität in Frage gestellt. Und er glaubte nicht an ihre ›dummen abergläubischen Vorstellungen‹.
    Sie ignorierte Vater. Sie war fertig, wenn sie fertig war.
    Vater schlich wieder ins Bett zurück.
    Die Verzierungen kamen drauf – jedes Gummibonbon sorgfältig angedrückt, der Zuckerguß-Schnee wählerisch verteilt, die Eiszapfen aus angeschmolzenem Zucker einzeln angebracht. Zuletzt kam noch die Tür hinein, ein Butterkeks an Papierscharnieren, so daß man sie nach beiden Seiten öffnen konnte.
    Dann nahm Oma Babka einen winzigen Beutel, den sie um den Hals hängen hatte. Sie entnahm ihm eine Prise blauen Pulvers und verstreute ihn auf der Schwelle.
    Das blaue Pulver roch wie frische Milch, Bettücher, im Sonnenschein getrocknet, Wind aus einem See voller Sommer.
    »Woraus besteht das?« fragte Schwester.
    »Frühling«, sagte Oma geheimnisvoll.
    »Wozu benützt du es?« fragte ich.
    »Glaubst du, ein Leschi ist dumm? Möchte den Winter über draußen im Kalten bleiben? Das erinnert Leschi an warme Tage im Wald.« Sie trat einen Schritt zurück, um das Haus zu bewundern – alles aus Pfefferkuchen und Gummibonbons, Pfefferminz und Zuckerguß. »Erinnern mich immer an alte Heimat.« Eine Träne entrann diesem salzgetrockneten, verschrumpelten Körper. »Muß dieses Jahr gehen.«
    Schwester und ich protestierten.
    »Werde euch Weihnachten besuchen«, sagte Oma Babka. Dann nahm sie das Haus und trug es nach hinten auf die Veranda, von der aus man den Wald hinter unserem Haus sehen konnte.
     
    Es war eine Tradition, daß Oma Schwester und mir Gutenachtgeschichten ›vorlas‹, nachdem das Pfefferkuchenhaus fertig war, auch wenn es schon nach

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