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Frohes Fest!

Frohes Fest!

Titel: Frohes Fest! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Jeschke (Hrsg)
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alles in seinem Leben – das Allerletzte.
    Er wurde, kurz gesagt, immer unausstehlicher. Ich weiß nicht, wie oft ihn Susi davon abhalten konnte, seinen quengelnden Kindern ernsthafte Schäden zuzufügen, und als die Kinder das Alter erreicht hatten, in dem sie einen Löcher in den Bauch fragen, wäre es das Beste für sie gewesen, sie hätten eine Methode erfunden, sich unsichtbar zu machen. Natürlich mochten ihn die Kinder nicht besonders, aber wer sonst tat das schon?
    Voriges Jahr Weihnachten begann es. Junior war gerade sechs, Linda Joyce fünf und Stewart vier, alle daher alt genug, um vom Weihnachtsmann gehört zu haben, und noch jung genug, auch an ihn zu glauben. Nachdem im Oktober die Weihnachts-Saison losgegangen war, benutzte Frank das Mißfallen des Weihnachtsmanns als Waffe, um die Kinder ›auf Vordermann zu bringen‹, sein Ausdruck dafür, daß sie mucksmäuschenstill dahockten. Es versuchen natürlich viele Eltern, Gehorsam auf die gleiche Weise zu erzwingen: »Wenn du ein böses Kind bist, wird dir der Weihnachtsmann keine Geschenke bringen.« Was jedoch, alles in allem, eine unbefriedigende und untaugliche Art von Strafe ist, geradezu ein Klacks im Vergleich zu Feuer und Schwefel und so weiter. In der guten alten Zeit strafte der Weihnachtsmann böse Kinder mit Hohn und Verachtung: sie fanden statt der Geschenke lediglich ein Stückchen Kohle in den Strümpfen, die sie in den Kamin gehängt hatten. Der Wirtschaftskrise dürfte es mit zu verdanken sein, daß sich das änderte. Schließlich gibt’s immer Zeiten und Situationen, in denen man sich hüten muß, auf ein Stück Kohle herabzusehen.
    Auf jeden Fall war für Frank das Nicht-Beschenken eine zu schwache Strafe, deshalb erfand er voriges Weihnachten Nackles.
    Wer ist Nackles? Nackles verhält sich zum Weihnachtsmann wie der Satan zu Gott, wie Ahriman zu Ahura Mazda, wie der Nordwind zum Südwind. Nackles ist das neue Böse.
    Ich glaube, daß Frank es richtig genoß, Nackles zu erschaffen; immerhin hatte er eine Menge Gedankenarbeit an die genauen Einzelheiten verschwendet. Frank und meinem Gedächtnis zufolge muß man sich Nackles so vorstellen: Sehr groß und sehr, sehr dünn. Er ist ganz in Schwarz gekleidet, besitzt ein finsteres, graues Gesicht und tiefschwarze Augen. Er bewegt sich durch ein kompliziertes Tunnelsystem unter der Erde, in einer schwarzen Kutsche auf Schienen, die von acht totenblassen Ziegen gezogen wird.
    Und was macht Nackles? Nackles lebt vom Fleisch kleiner Jungen und Mädchen. (So etwas erzählte Frank seinen Kindern – können Sie sich das vorstellen?) Nackles streift unter der Erde umher, in seinen Tunnels, die dunkler sind als U-Bahn-Schächte, gezogen von den acht totenblassen Ziegen, und er ist ständig auf der Suche nach kleinen Jungens und Mädchen, die er in seinen großen schwarzen Sack stopft, um sie mitzunehmen und aufzufressen. Aber der Weihnachtsmann ist stärker als Nackles und hält einen schützenden Schirm über die kleinen Kinder, so daß Nackles sie nicht zu fassen bekommt.
    Aber wenn kleine Kinder böse sind, tut das dem Weihnachtsmann weh und schwächt den Schirm, den der Weihnachtsmann über sie ausgebreitet hält, und wenn sie dann immer noch böse sind, ist ganz schnell kein Schirm mehr da, und am Weihnachtsabend kommt dann nicht der Weihnachtsmann mit seinem Sack voller Geschenke durch den Schornstein, sondern Nackles fährt aus der Erde mit seinem großen leeren Sack und stopft die bösen Kinder da hinein und huscht mit ihnen davon in seinen dunklen Tunnel, zu den acht totenblassen Ziegen.
    Frank war stolz auf seine Erfindung, richtig stolz darauf. Er benutzte Nackles nicht nur, um seinen eigenen Kindern Angst einzujagen, wenn sie das Unglück hatten, in seinen Gesichtskreis zu treten, sondern erzählte diese Geschichte auch weiter herum. Er erzählte sie mir, seinen Nachbarn, den Leuten in den Kneipen und denjenigen, denen er bei seinem Job als Versicherungsvertreter begegnete. Ich weiß nicht genau, wievielen Leuten er von Nackles erzählte, aber es müssen wohl über hundert gewesen sein. Und es gibt schließlich mehr als einen Frank auf der Welt; gelegentlich berichtete er mir von einem Kunden oder einem Nachbarn oder einem Saufkumpanen, der die Geschichte von Nackles gehört und dann gesagt hatte: »Mensch, das is’ ja ‘n Ding. Das ist genau das, was ich brauche, um meine Bälger auf Vordermann zu halten.«
    So wurde Nackles erschaffen, und so fand Nackles Verbreitung. Und würde

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