Frohes Fest!
öffnen wollte. Als es daraufhin noch immer ruhig blieb, brach ich die Tür tatsächlich auf.
Und Frank war natürlich verschwunden.
Die Polizei sagt, er sei davongelaufen, habe seine Familie im Stich gelassen, vor allem wegen Susis vierter Schwangerschaft. Sie sagen, er sei aus dem Fenster gestiegen und in den Hinterhof gesprungen, damit ihn Susi nicht sehen und aufhalten könne. Und sie sagen, daß er den Wagen aus Angst nicht genommen habe, weil Susi das Anlassen des Motors hätte hören können.
Klingt ganz plausibel, nicht? Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, daß Frank Susi verlassen hätte, ohne seine Absicht vorher laut herauszuposaunen. Auch hätte er wohl kaum auf den Wagen verzichtet, auf den er stolzer war als auf Frau und Kinder.
Aber welche Möglichkeit bliebe sonst? Ich kann mir nur diese vorstellen: Nackles.
Ich möchte das lieber nicht glauben. Ich möchte lieber nicht glauben, daß Frank ihm zur realen Existenz verholfen hat, indem er ihn erfand und jedem von ihm erzählte. Ich möchte lieber nicht daran glauben, daß Nackles das Haus meiner Schwester am Heiligen Abend tatsächlich besucht hat.
Hat er’s getan? Wenn ja, dann hätte er unmöglich eines der Kinder mitnehmen können, denn ein besser gedrilltes Kinder-Trio findet man so leicht nirgendwo. Aber Nackles, der ganz neu auf der Welt war und noch nie etwas zwischen die Zähne bekommen hatte, hätte irgendjemanden gebraucht. Irgendjemanden, der ihn für real hielt, irgendjemanden, den der Schirm des Weihnachtsmanns nicht bedeckte. Und, wie gesagt, Frank hatte in dieser Nacht gesoffen. Der Alkohol gaukelt dem Gehirn die Existenz aller möglichen Dinge vor. Zudem war – wenn es überhaupt je eines gegeben hat – Frank ein verzogenes Kind.
Es ist keine Frage, daß Frank Junior und Linda Joyce und Stewart an Nackles glauben. Und Frank hat die Botschaft von Nackles überall verbreitet, einige haben sie ihren Kindern weitererzählt. Und einige werden die Botschaft vom Neuen Bösen anderen Eltern erzählt haben. Und wir sind eine bewegliche Gesellschaft, deren Familien ständig wegen Vaters Firma von einem Ende des Landes zum anderen gejagt werden. Wie lange kann es also dauern, bis Nackles eine Macht nicht nur in dieser Stadt geworden ist, sondern im ganzen Land?
Ich weiß nicht, ob Nackles existiert oder je existieren wird. Alles, was ich sicher weiß, ist, daß zwischen den Zeilen des bekannten Weihnachtslieds plötzlich eine neue Bedeutung aufgetaucht ist – Sie wissen schon, welches ich meine:
Morgen, Kinder, wird’s was geben … [3]
Originaltitel: »Nackles«
Copyright © 1964 by D. A. Westlake
(erstmals erschienen in
»The Magazine of Fantasy and Science Fiction«,
Januar 1964), mit freundlicher Genehmigung des Autors
Copyright © 1989 der deutschen Übersetzung by
Wilhelm Heyne Verlag, München
Aus dem Amerikanischen übersetzt von
Alfons Winkelmann.
Cherry Wilder
Das Haus in der Friedhofstraße
Die zwei jüngsten Kinder des deutschen Autors August Füller verbrachten acht Jahre in Kalifornien. Ihre Mutter Vicki, seine zweite Frau, eilte, sobald sie nur konnte, an die Seite ihres Mannes. Es war sinnlos, die Kinder jetzt schon nach Deutschland zurückzubringen … das Land war dem Erdboden gleich, und es gab nichts zu essen. Also blieben sie bis Ende 1947 bei der Familie von Vickis Schulfreundin Estelle Bart O’Brien und kehrten zurück, nachdem Lucy ihr erstes Semester und Jo die achte Klasse beendet hatte.
Sie waren als Luisa und Joachim abgereist, als Lucy und Jo flogen sie zurück. Es waren hübsche Kinder, aber etwas schwer einzuordnen; sie würden immer Exoten sein, wo sie auch hingingen. Jo war mit seinen dreizehn Jahren klein und schmal, mit einer weichen, kindlichen Schönheit, großen, dunklen Augen, einem lockigen Haarwust. Lucy war siebzehn, groß und schlank, keine Figur für Pullover. Ihr Gesicht war zart, eher knochig, ihr braunes Haar fiel in natürlichen Wellen, ihre Augen waren grau. Sie hatte gerade genug Verabredungen, um zurechtzukommen, aber sie wußte, daß sie in bestimmten Kreisen als unattraktiv galt.
Sie hatten sehr viele Beziehungen spielen lassen müssen, um überhaupt fliegen zu können. An diese Andeutung von Privileg und besonderer Behandlung waren sie gewöhnt und wußten, daß es mit ihrem Vater zu tun hatte, der Wunder bewirkte. Er hatte ja sogar einen unglaublichen Strom von Briefen aufrechterhalten, zuerst in Portugal abgestempelt, dann als Feldpost der
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