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Fronttheater

Fronttheater

Titel: Fronttheater Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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die Orgel. Wie riesige Speere wirbelten ihre Pfeifen durch die Nacht.
    Erika fühlte den Boden unter sich aufbrechen. Dann faßte eine gewaltige Faust nach ihr und schleuderte sie herum. Ein greller Schmerz fuhr durch ihren Rücken, als sie auf den harten Boden fiel. Und dann wurde es dunkel um sie …
    Sie erwachte, als der scharfe Geruch von Salmiak in ihre Nase stieg.
    Benommen schlug sie die Augen auf.
    »Gott sei Dank!« hörte sie die Stimme Fritz Gartens.
    Erika starrte an ihm vorbei auf den schiefen, halb zusammengesunkenen Turm der kleinen Holzkirche, auf die wirren Trümmer, die aus dem Bombenloch ragten.
    Sie versuchte, sich aufzurichten.
    »Bleib liegen, Erika!« Garten drückte sie sanft zurück.
    »Wo ist Karl?« flüsterte Erika. »Habt ihr Karl herausgeholt?«
    Fritz Garten sah Erika verständnislos an.
    »Karl Pykora?« fragte er. Sein Blick fiel auf das Gewirr von Holzbalken und zersplitterten Bohlen, die einmal die Orgelempore der kleinen Kirche gewesen waren. »Mein Gott …«
    Zusammen mit Walter Meyer und einer Handvoll Soldaten begann Garten, die Trümmer beiseite zu zerren. Sie sprachen kein Wort. Keuchend wuchteten sie schwere Balken und zerborstene Orgelpfeifen und zerschlugen das Turmdach, das heruntergestürzt war und alles unter sich begraben hatte.
    Sie fanden Karl Pykora eine Viertelstunde später. Er lag neben den Trümmern der Orgelklaviatur.
    Es war das letztemal gewesen, daß er ein Instrument gespielt hatte: Beide Hände waren ihm weggerissen.
    »Abbinden!« sagte Fritz Garten mit gepreßter Stimme. Er zerrte sein Taschentuch heraus. Walter Meyer riß es in Streifen und wickelte es um die blutenden Armstümpfe.
    Karl Pykora stöhnte leise. Sein Gesicht war blaß, die Lippen waren fahl und blutleer.
    Ein junger Unterarzt drängte sich zu dem Verwundeten, kniete bei ihm nieder und hob ein Augenlid Pykoras an. Dann blickte er Garten an und schüttelte den Kopf.
    Erika schluchzte und barg ihr Gesicht an Fritz Gartens Brust.
    Walter Meyer sah den Arzt verzweifelt an: »Ist denn gar nichts zu machen?«
    Der Arzt zuckte die Achseln. »Wenn er sofort Blut bekommen würde …«
    »Er kann meines haben.« Walter Meyer hielt dem Arzt seinen Arm entgegen, als ob der ihm sofort das Blut aus der Ader zapfen sollte.
    Der Arzt lächelte. Ein resignierendes, hilfloses Lächeln. »Die Bombe hat meine sämtlichen Gläser zerteppert«, sagte er. Er wandte sich zum Gehen. »Aber es würde ohnehin zu lange dauern.« Er hob die Hand, als ob er noch etwas hinzufügen wolle. Doch er sagte nichts. Die Hand sank hilflos herab.
    »Vielleicht ist es am besten so«, sagte Fritz Garten nach einer Weile. »Ein Pianist ohne Hände …«
    Aber niemand stimmte ihm zu.
    Sie legten Karl Pykora auf ein zersplittertes Stück der Balustrade. Vier Soldaten hoben ihn auf und wollten ihn hinaustragen.
    Erika trat ihnen in den Weg. »Laßt ihn hier«, bat sie leise. »Er soll bei seiner Orgel bleiben. Nicht draußen in der Nacht – er hatte immer Angst vor der Nacht.«
    Die Soldaten stellten die provisorische Trage wieder ab und gingen langsam davon.
    Erika, Irene, Sonja, Fritz Garten und Walter Meyer setzten sich neben Karl Pykora auf den trümmerbesäten Boden – mit gesenkten Köpfen. Erika hatte die Hände gefaltet, und die Tränen tropften auf ihre verkrampften Finger. Irene starrte mit abgewandtem Gesicht in die Nacht. Sonja hatte sich an Walter Meyer herangedrängt und streichelte immer wieder seine Hände.
    Fritz Garten hielt es einfach nicht aus, still dazusitzen. Er stand auf, ging unruhig hin und her und stieß mit heftigen, wütenden Fußtritten kleine Trümmerstücke aus seinem Weg. Dann blieb er vor Erika stehen und sah auf sie hinunter.
    Ihr bleiches, tränennasses Gesicht war ihm gleichzeitig fremder und vertrauter als je zuvor.
    Garten zwang sich, von dem Mädchen wegzusehen. Voll hilflosem Zorn betrachtete er den Sterbenden: Ein junger Mensch mit einem Herzen voller Ideale, voller Zukunftsträume, der Bachsche Fugen spielte, während in Deutschland wild gewordene Spießer grölten: »Es zittern die morschen Knochen …«
    Karl Pykora starb so still, wie er gelebt hatte. Ganz allmählich wurde sein Atem flacher, langsamer – und hörte dann ganz auf.
    »Wir nehmen ihn mit«, sagte Fritz Garten leise. »Er soll nicht in dieser verlassenen Einöde bleiben.«
    »Es ist nicht genug Platz auf dem Wagen«, wandte ein Unteroffizier ein.
    Garten fuhr herum. »Pykora kommt mit«, sagte er fest, »und wenn ich zu

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