Fronttheater
nicht laut zu schreien.
»Keine Angst, wir haben's gleich geschafft.« Der Leutnant streichelte ihre Hand.
Endlich griff das rechte Rad wieder. Langsam richtete sich der Wagen auf.
Ein lautes Stöhnen der Erleichterung ging durch die Reihen der Verwundeten, die auf dem Wagen lagen.
Bei Sonja löste sich die plötzliche Entspannung in einem Weinkrampf. Schluchzend neigte sie ihren Kopf auf die Schulter des jungen Leutnants.
»Nun ist ja alles gut«, sagte er leise. »In einer Stunde sind wir in Imnok. Dann ist alles überstanden.« Er bettete seinen Kopf bequemer in Sonjas Schoß. »Und jetzt will ich auch ganz still liegen und mich nicht mehr bewegen«, versprach er.
Mit glanzlosen Augen starrte er in den hellen Sternenhimmel über ihnen.
Imnok war ein kleines Nest von drei, vier Dutzend Holzhäusern, die sich um die Dorfkirche drängten. Seit 1940 lag dort eine Kompanie deutscher Infanterie im Quartier.
Es war kurz nach Mitternacht, als die Überlebenden der Gebirgsjägereinheit von Stradfjord und die Theatertruppe Fritz Garten das Dorf erreichten.
Schweigend sahen Gartens Leute zu, wie die Soldaten ihre verwundeten Kameraden vom Wagen hoben und in das kleine Revierlazarett trugen.
Als letzten nahmen sie den toten Leutnant herunter.
»Vorsichtig«, bat Sonja, als sie ihn neben der kleinen Holzkirche auf den Boden legten.
Die beiden Soldaten nickten. Behutsam betteten sie den Leutnant auf das spärliche Gras.
»Komm mit zu den anderen.« Walter Meyer legte Sonja die Hand auf die Schulter. »Du mußt doch auch todmüde sein.«
Sonja rührte sich nicht. Sie starrte auf das Gesicht des Toten, dessen Augen noch immer groß und fragend zu den Sternen aufsahen.
»Er hat sein Leben für uns geopfert«, sagte sie tonlos. »Er wußte, daß er sterben würde, wenn er bis zur Nacht wartete. Und trotzdem …« Sie beugte sich nieder und drückte dem Toten die Augen zu. »Schlaf gut«, flüsterte sie. Dann richtete sie sich auf und wandte sich zu Walter Meyer. »Gehen wir!«
Meyer nahm Sonja bei den Händen, zog sie sanft in seine Arme. »Habe ich dir eigentlich schon einmal gesagt, wie sehr ich dich liebe?«
Sonja legte den Kopf an seine Schulter, und Meyer strich ihr behutsam eine rote Haarsträhne aus der Stirn.
»Du bist ein verdammt feiner Kerl, Sonja«, sagte Meyer. »Und wenn ich irgendwann mal daran zweifeln sollte, dann erinnere mich bitte an den heutigen Tag.«
Die Frauen der Theatertruppe waren für die Nacht in einem Speisesaal untergebracht worden.
Erika Nürnberg lag auf dem Rücken, den Kopf auf ihren verschränkten Händen, und starrte an die rissige Holzdecke.
Der Mond warf eine helle Lichtbahn durch das kleine Fester. Ein Kiefernzweig bewegte sich sacht im Nachtwind und warf tanzende Schatten auf den Boden.
Mit einem Seufzer streifte Erika die Decke ab und fuhr in ihre Kleider.
»Wo gehst du hin?« fragte Irene.
»An die Luft.« Erika fummelte nach ihren Zigaretten. »Kannst du denn schlafen?«
»Nein.« Irene kniff die Augen zusammen, als Erikas Feuerzeug aufflackerte und die Zigarette in Brand setzte. »Bleib nicht zu lange, nein?«
»Nur zehn Minuten.« Erika öffnete die Tür. »Vielleicht kann ich nachher besser einschlafen.«
Das Dorf lag still. Nur der leise Schritt der Posten klang durch die Nacht, das leise Scheppern der Seitengewehre gegen die Gasmaskenbüchsen.
Aus dem Fenster des Revierlazarettes schimmerte Licht. Ein Verwundeter stöhnte.
Erika ging rasch weiter, auf die Dorfkirche zu. Hinter einem verwitterten Steinzaun lag der Friedhof: windschiefe Kreuze auf zusammengefallenen, grün überwucherten Hügeln.
Eine dunkle Gestalt lehnte an der Friedhofsmauer. Das glimmende Ende einer Zigarette beleuchtete das Gesicht.
»Fritz?« fragte Erika verwundert.
Fritz Garten warf die Zigarette auf den Boden, trat sie aus. »Warum schläfst du nicht, Erika?«
Sie antwortete nicht. Schweigend lehnte sie sich neben ihn.
Vom Friedhof kam ein leises, verhaltenes Klirren. Und dann sah Erika die Männer, die im Dunkeln die Erde aufgruben.
»Sie heben die Gräber aus«, sagte Fritz Garten.
Erika stieß einen zitternden Seufzer aus. »Manchmal wünschte ich, ich wäre auch schon gestorben«, sagte sie leise.
»Aber Erika!« Fritz Garten sah sie erschrocken an.
»Was hat denn das Leben jetzt noch für einen Sinn?« flüsterte Erika.
»Bitte, Erika!« Fritz Garten faßte sie hart an der Schulter. »Ich habe den Krieg nicht gemacht. Ich hasse ihn genauso wie du, aber
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