Fronttheater
Fuß hinterherlatschen muß!«
»Aber seien Sie doch vernünftig.«
Garten trat dicht vor den Soldaten. »Vernünftig?« fragte er. »Was verstehen Sie unter Vernunft? Das hier etwa?« Garten zeigte auf die Trümmer der Kirche. Dann stellte er sich vor den Toten. »Pykora kommt mit. Ich werde dafür sorgen, daß er nach Berlin übergeführt wird. Und wenn dieses ganze beschissene Fronttheater deshalb platzt.«
Die Fronttheatertruppe verließ Imnok am nächsten Morgen. Karl Pykora lag auf einem abgefetzten Stück der Kirchenbalustrade. Unter seine Armstümpfe hatten sie zersplitterte Teile der Orgelklaviatur gelegt.
Der Wagen rollte die enge Schotterstraße entlang, der Küste zu.
Das letzte, was man von dem Dörfchen Imnok sah, war der Turm der Kirche. War er früher wie ein erhobener Finger erschienen, der himmelwärts wies, so glich der zerborstene Turm jetzt einer offenen Hand, die Gott um Vergebung anfleht.
Zwei Tage nach Pykoras Tod wurde Lore Sommerfeld von Frau Berthold in die Lübecker Frauenklinik gebracht. Am nächsten Morgen um vier krähte ihr Kind sein erstes Mißvergnügen in die Welt.
»Es ist natürlich ein Junge«, konstatierte Frau Berthold, als sie Lore das erstemal besuchte.
»Woher wissen Sie das?« fragte Lore überrascht. »Hat die Schwester ihr …«
Frau Berthold winkte ab. »Nur ein männliches Wesen bringt die Rücksichtslosigkeit auf, zu so unpassender Stunde zu erscheinen.« Sie schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Um vier Uhr in der Frühe.«
Eine Schwester brachte den Säugling.
»Sieht er nicht hübsch aus?« fragte Lore, als sie ihn vorsichtig in die Arme nahm. »Er hat dieselben Ohren wie mein Jupp. Und seine Augen. Und …«
Wird denn das Mädchen nie klug, dachte sie bekümmert. Dieser Jupp ist seit Monaten vermißt. Wahrscheinlich gefallen. Denn wenn er lebte …
Sie sah in Lores fragende Augen und zwang sich zu einem Lächeln. »Wie soll er denn heißen«, fragte sie.
»Jupp natürlich.« Lore blickte zärtlich in das kleine Gesicht ihres Kindes. »Was haben Sie denn gedacht?«
Frau Berthold nickte stumm.
»Jetzt müßte Jupp bei uns sein«, sagte Lore leise und fuhr mit ihrem Finger zärtlich über die winzige Hand des Säuglings. »Jetzt müßte die Tür aufgehen, und Jupp müßte hereinkommen.«
Die alte Frau seufzte mitleidig. »Das wäre schon ein Wunder.«
»Ich weiß, daß es albern oder unvernünftig ist«, sagte Lore. »Aber lassen Sie mich doch an ein Wunder glauben – wenigstens eine Weile noch.«
Der Obergefreite Jupp Doelles spielte seit zwei Wochen Besatzungssoldat in einem kleinen Kaff südlich von Woronesch. Das Regiment hatte seit April im dicksten Dreck der deutschen Frühjahrsoffensive gesteckt und war für eine Ruhepause nach hinten verlegt worden.
»Von mir aus kann der Krieg jetzt noch ein paar Jahre so weitergehen.« Hauptfeldwebel Müller winkte seiner russischen Quartierwirtin noch einmal zu, bevor er mit Doelles zum Appellplatz ging.
»Du bist ein Dreckstück, Spieß«, sagte Doelles trocken. »Du brauchst bloß so ein Weib auf Tuchfühlung, und schon haste Spaß am Krieg.«
Müller verzog den Mund zu einem ironischen Grinsen. »Du hast's nötig, Moral zu predigen, Doelles. Wenn ich an Polen denke und an Frankreich. Damals warste auch nicht gerade wählerisch.«
Doelles fummelte an einem offenen Jackenknopf. »Das ist lange vorbei«, sagte er grob. »Das weißt du so gut wie ich.«
Müller nickte verständnisvoll. Aber dann fragte er doch: »Kann ich dafür, daß dir dein Mädchen abhandengekommen ist? Deshalb kannste doch anderen Leuten ihren Spaß gönnen.«
Sie waren auf dem Appellplatz angelangt. Der Kompanieschreiber ging dem Spieß entgegen.
»Gibt's was Neues, Weber?« fragte Hauptfeldwebel Müller.
Gefreiter Weber gab dem Spieß die Mappe mit dem Tagesbefehl an die Truppe und anderen Schriftstücken.
»Heut nachmittag soll 'ne Theatertruppe hier aufkreuzen«, sagte er. Er suchte das Schreiben aus der Mappe. »›Frühling und Liebe‹ nennen sie sich. Ulkiger Name für 'n Theater, was?«
Hauptfeldwebel Müller stieß Doelles in die Seite. »Frühling und Liebe. Na, ist das nichts? Rasier dich und zieh dir 'nen geraden Scheitel. Vielleicht kannst du eine von denen kapern. Du bist doch auf diese Art Damen spezialisiert.«
Jupp Doelles zog die Augenbrauen zusammen. »Daß es in der Wehrmacht so blöde Hauptfeldwebel gibt, müßte verboten werden!« sagte er grimmig, drehte sich um und ging davon.
Gefreiter Weber sah
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