Fronttheater
ihm verblüfft nach. »Der ist ja verrückt«, sagte er fassungslos. »Das können Sie sich nicht gefallenlassen. Das ist gegen die Disziplin. Der muß bestraft werden.«
Hauptfeldwebel Müller schüttelte den Kopf. »Nee, laß man, der Doelles, der ist schon genug bestraft.«
Zwei Tage, nachdem Lore die Klinik verlassen hatte, wurde sie vom SD verhaftet.
»Ich bin beauftragt, Sie abzuholen«, sagte der SD-Mann in der graugrünen Uniform. »Mein Wagen steht draußen.«
Lore Sommerfeld sah ihn verstört an. »Aber ich habe doch nichts verbrochen«, stotterte sie.
»Das wird sich herausstellen«, sagte der SD-Mann ungerührt.
»Aber können Sie mir nicht erklären …«
»Ich weiß von nichts. Ich habe lediglich den Auftrag, Sie abzuholen. Also kommen Sie!«
»Und mein Kind?« Lore sah hilflos zu dem Körbchen hinüber, in dem der kleine Jupp schlief. »Frau Berthold ist gerade fortgegangen.«
»Sie wird schon wiederkommen. Und heute abend sind Sie wahrscheinlich schon wieder zu Hause.«
»Wahrscheinlich …«
Der SD-Mann nahm sie beim Arm. »Ich weiß von nichts, ich habe nur meine Befehle auszuführen. Also kommen Sie endlich.«
Zehn Minuten später stand Lore in einem nüchternen Bürozimmer. Über dem Schreibtisch hing ein riesiges Hitlerbild. Der größte Feldherr aller Zeiten sah zornig und strafend auf sie herab.
»Sie wundern sich, daß wir Sie herbestellt haben?« Der Mann hinter dem Schreibtisch hatte ein glattes, rotfleckiges Gesicht. Die Pupillen seiner Augen waren so hell, daß es aussah, als habe er gar keine. Seine plumpen Hände spielten mit einem ziselierten Brieföffner.
»Ich bin vor zwei Tagen aus der Klinik gekommen«, stammelte Lore.
»Sonst hätten wir Sie auch schon früher geholt«, sagte der SD-Mann übertrieben freundlich. »Man soll uns nicht nachsagen, daß wir rücksichtslos sind.«
»Was soll ich hier?« fragte Lore tonlos.
»Eine Lektion entgegennehmen.«
»Eine Lektion? – Ich habe doch nichts …«
»Haben Sie diesen Brief geschrieben oder nicht!« Die Stimme des Mannes war plötzlich schneidend. Wie ein Trumpfas schmetterte er einen Briefbogen auf den Tisch.
Lore nickte. Es war ihr Brief. Ihr letzter Brief an Erika Nürnberg und die anderen Kollegen vom Fronttheater.
»Sie haben defätistisch geschrieben!« sagte die kalte Stimme.
»Was habe ich?«
»Stellen Sie sich nicht dümmer, als Sie sind!«
»Ich weiß wirklich nicht …«, stammelte Lore. Wie kam der SD zu ihrem Brief? Sie hatte ihn doch selber in den Postkasten …
»Sie haben geschrieben, daß jede Nacht Fliegeralarm ist, daß jede Nacht eine deutsche Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird. Geben Sie das zu, oder soll ich Ihnen den Brief vorlesen?«
»Natürlich gebe ich das zu«, antwortete Lore. »Und es stimmt doch auch. Erst gestern bei dem großen Angriff …«
»Und wenn es zehnmal stimmt«, schrie der SD-Mann aufgebracht. »So etwas schreibt man nicht an die Front! Das ist Wehrkraftzersetzung. Was bezweckten Sie mit dem Schreiben?«
Lore zuckte hilflos mit den Schultern. »Nichts. – Ich wollte Erika nur sagen …«
»Eigenartig, daß Sie mit einer Kollegin in Briefwechsel stehen, die unter Beobachtung steht. Uns liegen von der Reichstheaterkammer Berichte von …« Er brach ab. »Na, das ist ja nichts für Sie.« Er schob den Brief beiseite und sah Lore starr an. »Wir werden Sie von jetzt an im Auge behalten«, sagte er mit langsamer Betonung. »Wenn auch nur das Geringste vorkommt …« Er ließ die Drohung offen.
»Kann ich jetzt bitte gehen?« fragte Lore leise. »Mein Kind …«
»Denken Sie nächstens an Ihr Kind, bevor Sie ihre defätistischen Gedanken niederschreiben«, sagte der SD-Mann drohend. »Das nächstemal kommen Sie nicht so billig weg.« Er machte eine Handbewegung, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen. »Hauen Sie ab!«
Es war spät am Abend, als die beiden Lastwagen mit den Verwundeten aus Stradfjord und der Theatertruppe Garten in Stavanger eintrafen.
Die Verwundeten wurden auf dem Hof des Lazaretts abgeladen. »Was geschieht jetzt mit ihm?«
»Karl bleibt bei uns!« entschied Fritz Garten fest.
»Aber ihr könnt ihn doch nicht mit euch herumschleppen.«
Der Feldwebel zuckte mit den Schultern. »Verrückte muß es …«
»Laß Karl Pykora in Ruhe«, sagte Walter Meyer warnend und trat dem Feldwebel in den Weg. »Der bleibt bei uns. Er soll zu Hause begraben werden.«
Der Feldwebel zuckte mit den Schultern. »Verrückte muß es auch geben«,
Weitere Kostenlose Bücher