Frostblüte (German Edition)
das Gesicht zerschnitten?«
Luca senkte den Kopf, so dass ich seinen Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. »Für Sedrier ist das Kreuz das Zeichen für einen Verräter. Auf der anderen Seite der Grenze pflegten sie es mit einem heißen Eisen einzubrennen. Das hier ist das Werk der Aufständischen.«
Ich drehte mich hastig weg und spuckte einen Mund voll Galle aus, das Brennen in meiner Kehle ließ mich husten und würgen. Dann wischte ich mir die Lippen mit dem Ärmel ab, drehte ihm jedoch weiter den Rücken zu, als ich ihn fragte: »Der Ältere … ist Sedrier, oder?«
»Es ist passiert, weil er Sedrier war«, sagte Luca und in seiner Stimme schwang grimmige Trauer. »Seinen Kleidern nach zu urteilen war er ein Bauer, der vermutlich nach Mesgao zum Viehmarkt wollte. Der Junge ist mit großer Wahrscheinlichkeit sein Sohn. Räuber haben ihn und seinen Jungen wegen der Tiere umgebracht, doch sie haben das Gesicht des Mannes gezeichnet, weil er hier ein friedliches Leben mit einer ruanischen Frau lebte. Du siehst ja, der Junge hat dunkle Haut. Die Aufständischen betrachten das als Verrat. Heilige Urmutter, wären wir doch bloß ein wenig früher hier vorbeigekommen …«
Ich zwang mich, noch einmal die Körper anzusehen. Es war falsch, sich von ihnen abzuwenden. Sie trugen keine Schuld an dem, was ihnen widerfahren war.
»Wir sollten sie begraben –« Ich hielt abrupt inne. »Luca, schau.« Ich nahm die Hand des Bauern und versuchte die unheimliche Wärme seiner Haut zu ignorieren, als ich die toten Finger aufbog und ein zerrissenes Stück rosa Stoff hervorzog. Es war mit weißen Blumen bestickt. »Das stammt nicht von den Kleidern der beiden. Sie hatten noch jemanden dabei. Ein Mädchen.«
Luca stieß erneut einen Fluch aus und dieses Mal dämpfte er seine Stimme nicht. Er richtete sich auf, machte zwei schnelle Schritte, drehte um und kam wieder zurück. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Diese Schweinehunde. Sie haben sie mitgenommen.«
»Du hast gesagt, dass es vor weniger als einer Stunde passiert ist – sie könnte noch am Leben sein, oder?«
»Wenn sie nicht vorhätten, sich an ihr zu vergnügen, hätten sie sich kaum die Mühe gemacht, sie zu verschleppen. Ja. Sie ist möglicherweise noch am Leben. Wahrscheinlich wünscht sie sich gerade, dass es nicht so wäre.«
»Du könntest sie retten. Du könntest die Mörder verfolgen und das Mädchen befreien.« Ich starrte ihn an. »Aber … das wirst du nicht tun, richtig? Warum? Warum nicht? Ist das nicht deine Aufgabe? Du kannst die Männer doch nicht einfach laufen lassen!«
Sein Kiefer spannte sich. Er warf mir einen schnellen Blick zu, dann sah er wieder zu Boden.
»Es ist meinetwegen«, sagte ich wie betäubt. »Du traust mir nicht. Du denkst, ich würde davonlaufen.«
»Wirst du nicht?« Nun schaute er mich fest an, in dem dunklen Blau seiner Augen konnte ich Wut und Ohnmacht und Schmerz erkennen.
Ich blickte auf den kleinen Stofffetzen in meiner Hand. Wenn sie nicht vorhätten, sich an ihr zu vergnügen, hätten sie sich kaum die Mühe gemacht, sie zu verschleppen …
»Wenn du die Mörder verfolgst, werde ich nicht weglaufen. Ich verspreche es dir. Ich tue alles, was du befiehlst. Nur … hilf ihr. Bitte.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie sich Lucas Fäuste langsam entspannten. Er holte tief Luft. »Gut. Doch du musst mich begleiten. Uns bleibt möglicherweise nicht viel Zeit.«
Ich stand auf, meine Hand schloss sich um den Stofffetzen. »Dann sollten wir jetzt gehen.«
Wir folgten den deutlichen Schleifspuren den Hügel hinauf, bis wir einen schmalen Pfad erreichten. Auf der Erde waren die Spuren des Kampfes zu erkennen, die den Bauern und seinen Sohn das Leben gekostet hatten.
Dicke, klebrige Blutstropfen glänzten auf den Blättern und der aufgewühlten Erde. Ich erkannte Hufspuren von Schafen und unterschiedliche Fußabdrücke.
»Es waren zwei Frauen hier«, sagte Luca und fuhr die Spuren in der Erde nach. »Und vier Räuber. Für sie muss es ein Glückstag gewesen sein. Der Bauer hatte nicht die geringste Chance. Sie sind von hier aus den Berg hinaufgeflohen.«
Luca bewegte sich nun schneller, er flog beinahe zwischen den Bäumen hindurch, trotzdem verursachte er so gut wie kein Geräusch. Ich zuckte bei jedem Zweig, der unter meinem Fuß knackte, zusammen, bei jedem Blatt, das ich aufwirbelte, und selbst bei meinem eigenen Keuchen.
Du musst es ihm sagen. Warne ihn jetzt, bevor es zu spät ist.
»Falls etwas
Weitere Kostenlose Bücher