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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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irgendein dummes Mädchen mit langen Nägeln, das Fremde nicht mochte. Ein Kratzer, ein Tropfen Blut und der Wolf würde loswüten und jeden töten, der ihm in die Quere kam.
    Ich hatte bei meiner Reise darauf geachtet, mich von dicht besiedelten Gebieten fernzuhalten, Arbeit für ein, zwei Tage zu finden und dann weiterzuziehen, bevor ich Schwierigkeiten verursachen konnte. Je weniger Menschen um mich waren, umso weniger Menschen waren in Gefahr. Doch ohne die Axt meines Vaters war ich nicht mehr als ein ungelernter Vagabund, noch dazu eine Frau. Welcher Bauer oder Pächter würde mir schon Arbeit geben wollen?
    Und ich konnte auch nicht allein hier draußen leben. Zusammen mit meinem Bündel hatte ich meine Fallen verloren, meine Messer, um Wild auszunehmen, meine gefettete Unterlegplane. Der erste Schnee – der erste Leopard oder Bär – wäre mein sicherer Tod. Dasselbe galt für den Versuch, nach Uskaand zurückzukehren. Der Wolf war viel schneller und stärker als ein Mensch, doch er war nicht unbesiegbar – nicht, solange er in meiner Menschengestalt steckte.
    Ich verfluchte mich dafür, dass ich den Geschichten meiner Mutter Glauben geschenkt hatte, dass ich mich von ihren Worten hatte überzeugen lassen, in Ruan gäbe es Hoffnung. Es gab keine Hoffnung, weder hier noch sonst wo. Und nun war ich schlimmer dran als je zuvor.
    Ich war seit ungefähr einer halben Stunde unterwegs, versunken in der Bitterkeit meiner Gedanken, da spürte ich, wie sich meine Wahrnehmung plötzlich änderte, wie ich unbewusst aufmerkte. Eine Warnung. Ich zog die Nase kraus und erfasste einen Geruch in der Luft. Es war ein Geruch, den ich hasste, aber gut kannte. Tod.
    Direkt vor mir lagen zwei Männer in einer Grube. Ihre Körper waren ineinander verschlungen, ihre Kleider voller Schmutz und Blut. Spuren in der Erde daneben ließen erahnen, wie sie dorthin geschleift und anschließend in die Grube gerollt worden waren.
    Mein Instinkt riet mir davonzulaufen, auf der Stelle, möglichst weit und möglichst schnell. Doch ich konnte nur die stumpfen, toten Augen des einen Mannes sehen, das Gesicht des anderen lag im Schmutz. Ich musste ganz sicher sein, dass ihm wirklich nicht mehr zu helfen war. Daher zwang ich mich, die letzten Schritte auf die Körper zuzugehen. Auf ein Knie gestützt fasste ich den Mann, dessen Gesicht ich nicht erkennen konnte, an der Schulter. Ich spürte die Wärme seiner Haut durch das Hemd. Vielleicht …?
    Ich drehte ihn um. Der Anblick seines Gesichts ließ mich mit einem Schrei zurückspringen. Auf beiden Wangen klafften wüste Schnittwunden, die ein Kreuz andeuteten. Er war mittleren Alters, hellhäutig mit braunem Haar. Für ihn kam jede Hilfe zu spät.
    Aus der Nähe konnte ich erkennen, dass der andere nur ein Junge war, nicht älter als dreizehn, er hatte olivfarbene Haut und dunkle, lockige Haare. Trotz der unterschiedlichen Haut- und Haarfarbe sahen sich die beiden ähnlich genug, um verwandt zu sein. Sie waren beide erstochen worden, doch nur den älteren Mann hatte man verstümmelt.
    Das Blut auf den Körpern war noch nicht getrocknet.
    Es war gerade erst passiert. Vielleicht lauerten die Mörder noch in der Nähe. Und beobachten mich.
    Ich richtete mich auf und sprang aus der Grube. Dann rannte ich los, umrundete den dicken Stamm eines Baumes und prallte frontal gegen eine warme, muskulöse Brust. Große Hände packten mich an den Schultern und hielten mich. Rings um mich stieg ein vertrauter Geißblattduft auf. Ich schaffte es, den Aufschrei zu unterdrücken, der mir auf den Lippen lag.
    »Hast du es eilig?«, fragte Luca. »Hast du dich plötzlich entschieden, doch nicht davonzulaufen?«
    Ich sah ihn an. Sein Gesichtsausdruck änderte sich blitzschnell von spöttisch zu ernst. Er schob mich hinter sich, trat einen Schritt vor und blickte sich suchend im Wald um. »Was ist passiert? Alles in Ordnung mit dir?«
    Ich rieb mir mit beiden Händen übers Gesicht und wischte den kalten Schweiß ab. Die Panik, die mich gepackt hatte, ließ nach. »Ich habe Leichen gefunden. Die Männer wurden erst vor kurzem umgebracht.«
    Luca fluchte leise. »Zeig sie mir.«
    Widerwillig führte ich ihn zu der Grube und wich ihm nicht von der Seite, als er sich neben die Männer kniete.
    »Du hast Recht. Die beiden wurden vor etwa … einer Stunde getötet. Vielleicht sogar weniger.«
    »Warum tut jemand so etwas?«, fragte ich mit zitternder Stimme. »Der eine ist doch bloß ein Kind. Und warum haben sie dem anderen

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