Frostblüte (German Edition)
Tasse Tee wird es dir viel besser gehen.«
Hinter mir hörte ich Arian flüstern: »Das wollte ich nicht.«
Ich starrte auf meine eigenen Hände. Sie waren sauber, nur die Fingerspitzen hatten eine leicht grünliche Färbung vom Gras, aber ich konnte das Blut noch sehen. Ich konnte das Blut trotzdem noch fühlen.
Das wollte ich nicht …
Fünfzehn
Livia hatte Luca viermal weggeschickt. Beim ersten und zweiten Mal saß ich noch immer zitternd da, trotz der Hitze in eine Decke eingewickelt und einen großen Becher Anistee in den bebenden Händen. Livia hatte mich nicht einmal gefragt, sondern ihn einfach mit ein paar energischen Worten vertrieben.
Als Luca zum dritten Mal zu ihrem Zelt kam, war es später Nachmittag. Ich hatte die Decke abgelegt und saß im Schneidersitz auf dem Boden, wo ich halbherzig getrocknete Kräuter in Nesselsäckchen füllte. Livia warf mir einen schnellen fragenden Blick zu und nahm mein heftiges Kopfschütteln als Bestätigung, ihn wieder zu verscheuchen.
Als ich seine Stimme das vierte Mal vor dem Zelt hörte, war es schon fast Abend und die Dämmerung brach herein. Bevor sie zum Zelteingang ging, nahm Livia sehr langsam und behutsam meine Hand. »Wenn du bleiben willst, musst du dich irgendwann mit ihm auseinandersetzen. Du brauchst keine Angst zu haben, dass er Ausflüchte für Arian vorbringen wird – er möchte sich bloß dafür entschuldigen, dass er zugelassen hat, dass es zu diesem Vorfall kommen konnte. Und vielleicht fühlst du dich ja besser, wenn du das hörst.«
Ich schüttelte wieder den Kopf. Livia seufzte, beließ es aber dabei. Sie unterhielt sich vor dem Zelt eine Weile mit Luca. Vermutlich wurde sie ihn dieses Mal nicht so einfach los. Er machte sich allmählich Sorgen.
Livia hatte sofort verstanden, was mir auf der Lichtung passiert war, und meine Dankbarkeit gewonnen, als sie sich die Fragen verkniff, die ihr offensichtlich auf der Zunge lagen. Vermutlich gab es in ihrer Vergangenheit ebenso viele Schatten wie in meiner und Arian war wohl auch schon in ihre hineingestolpert. Sie hatte von Anfang an keinen Zweifel daran gelassen, dass sie ihn nicht mochte und ihm auch nicht über den Weg traute. Wahrscheinlich dachte sie, ich wolle Luca nicht sehen, weil ich noch immer böse auf ihn war, dass er Arian und mich allein zurückgelassen hatte. Dass ich wütend über seine Unfähigkeit war, seinen Freund und Leutnant unter Kontrolle zu halten. In Wahrheit hatte ich die Angst, die Arians Verhalten ausgelöst hatte, erschreckend schnell abgeschüttelt. Das lag möglicherweise daran, dass ich eine lange Übung darin hatte, solche Erinnerungen in das wirre Knäuel Dunkelheit unter meinen Rippen zurückzudrängen.
Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich Arians am Boden zerstörtes Gesicht gesehen hatte, nachdem Luca ihn niedergeschlagen hatte, und daran, wie er seine Hände anstarrte, als würden sie jemand anderem gehören.
Er hatte mir nichts antun wollen. Er hatte mich aus der Reserve locken wollen. Er betrachtete mich als Rivalin, als eine gefährliche Unbekannte, die seinem Bruder irgendwie zu nahe gekommen war – vielleicht sogar Arian selbst zu nahe gekommen war. Ich verstand, warum. Innerhalb kürzester Zeit war es mir gelungen, ihn in seinem verletzlichen Zustand am Waldtümpel zu überraschen und einen Streit zwischen Luca und ihm auszulösen. Dann war er Zeuge der Szene zwischen Luca und mir gewesen, die den Eindruck erweckt haben musste, ich würde Luca bereits Schmerz zufügen. Wer wusste, welchen Schaden ich erst anrichten würde, wenn ich blieb? Seine Bemerkungen hatten klar gezeigt, dass er überzeugt war, ich verberge mein wahres Ich. Er hatte mich – den knurrenden, mächtigen Wolf, den er in mir sah – ans Licht zerren wollen. Mit Sicherheit war ihm überhaupt nicht bewusst, dass es in seiner Macht stand, mir Angst einzujagen, dass ich schwächer war als er, dass ich nicht zurückschlagen konnte, selbst wenn ich es wollte.
Als er seinen Irrtum bemerkt hatte, war es schon zu spät gewesen. Er konnte es nicht mehr zurücknehmen.
Gerade ich wusste, wie sich das anfühlte.
Arian mochte gefährlich sein. Eigentlich war ich mir dessen sogar sicher. Aber er war kein Sadist. Niemand, dem es Vergnügen bereitete, andere zu quälen, hätte so geschockt und mitgenommen ausgesehen wie er, als ihm klar wurde, was er mir angetan hatte. Vielleicht würde er nie mein Freund werden, trotzdem hatte ich nun das Gefühl, ihn ein wenig zu verstehen – und auf
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