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Frostblüte (German Edition)

Frostblüte (German Edition)

Titel: Frostblüte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoë Marriott
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Felszunge umgaben, heraustrat, konnte ich sehen, dass ich mich in einigen Punkten geirrt hatte. Er stand nicht auf dem Felsen, er saß darauf. Die Höhe des Steins hatte mich getäuscht. Seine hängenden Schultern und sein gebeugter Rücken drückten Niedergeschlagenheit aus, er hielt den Kopf gesenkt, genau wie nach Lucas Fausthieb. Das immer heller werdende Sternenlicht ließ erkennen, dass er auf seinen Händen saß.
    Das wollte ich nicht …
    Ich starrte zu ihm hoch, wagte nicht, mich ihm zu nähern, hatte aber trotzdem das Gefühl, etwas Bestimmtes tun zu müssen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er mich hatte kommen sehen. Sollte ich mich bemerkbar machen?
    »Was willst du?« Seine harsche Frage ließ mich zusammenzucken.
    »Mit dir reden«, brachte ich mit recht gut gemimter Ruhe heraus.
    »Wenn du auch nur einen Funken Verstand hättest, würdest du großen Abstand zu mir halten.«
    Die Worte sollten vermutlich bedrohlich klingen, stattdessen erinnerten sie mich an das trotzige Brabbeln eines Kindes, das wusste, dass es etwas falsch gemacht hatte, sich aber nicht entschuldigen wollte.
    Vorsichtig nach Halt tastend begann ich den Felsen hinaufzuklettern. Ich zog mich mit einem angestrengten Ächzen hoch, setzte mich mit einer Armeslänge Abstand neben ihn und ließ die Beine über die Felskante baumeln. Von hier aus konnte ich auf das weiße und graue Wirrwarr der Zelte und die pulsierende Glut des Feuers der Urmutter unter uns blicken. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie er von mir abrückte, das Sternenlicht verriet, dass seine Augen weit geöffnet waren.
    »Du stößt ganz schön viele Drohungen aus«, sagte ich. »Macht es dir wirklich solchen Spaß, Leuten Angst einzujagen?«
    »Nein!«, fuhr er mich an. Er holte scharf Luft, als wolle er mehr sagen, schwieg dann aber doch. Als er weitersprach, klang seine raue Stimme ruhiger. »Ich wollte dir keine Angst einjagen. Ich weiß, das ist keine Entschuldigung. Aber … Ich werde dir nicht mehr nahe kommen.«
    »Weil du das Luca versprechen musstest?«
    »Ich bin kein Ungeheuer.« Er zog eine Hand unter dem Bein hervor und rieb sich die Stirn, als habe er Kopfschmerzen. »Glaubst du, er würde mich hier dulden, würde mich irgendwo in seiner Nähe dulden, wenn ich eines wäre? Du solltest eine bessere Meinung von ihm haben.«
    »Warum hast du dich dann so benommen?«
    Ich glaubte die Antwort zu kennen, aber ich wollte es aus seinem Mund hören.
    »Ich weiß es nicht«, sagte er, die Worte klangen, als knirschten raue Felsbrocken aneinander. »Ich verabscheue Männer, die – ich ekle mich vor dem, was ich getan habe, und es tut mir leid. Du wirst es mir nicht abnehmen, aber es tut mir wirklich leid. Mein ganzes Leben habe ich versucht Menschen zu schützen, es wiedergutzumachen … Meine Mutter war erst vierzehn, als sie mich zur Welt gebracht hat. Ein sedrischer Stoßtrupp hatte das Dorf angegriffen. Einer der Männer – irgendein widerwärtiger Rohling – hat sie vergewaltigt. Hat sie mit mir geschwängert. Die Geburt hat sie getötet. Das Leid hat sie getötet. Ich muss mit diesem Wissen leben. Ich würde niemals, niemals einer Frau Gewalt antun – irgendjemandem Gewalt antun – auf diese Weise.« Er hielt inne, sein Atem ging stoßweise. Dann wiederholte er: »Es tut mir leid.«
    Ich schluckte und fühlte mich kleinlich und grausam, dass ich ihn zu diesem Geständnis getrieben hatte. Es war offensichtlich, wie schmerzlich seine Vergangenheit für ihn war. Doch gleichzeitig war ich auch froh. Ich hatte mich nicht in ihm getäuscht. Es brauchte einen Augenblick, bis ich ihm antworten konnte. »Ich glaube dir.«
    Es entstand eine weitere Pause, bevor er ein einfaches »Danke« murmelte.
    »Wirst du mir helfen? Bitte?«
    Er hob den Kopf. »Wobei?«
    »Ich möchte lernen, mich zu verteidigen.«
    »Das wird dir Luca beibringen. Er ist der beste Lehrer, den du dir wünschen kannst.«
    »Ich möchte, dass du mir Dinge zeigst, die er mir nicht beibringen kann. Ich bin groß für ein Mädchen und ich bin stark, aber ich weiß, dass ich auch … verletzlich bin. Wenn ich in Panik gerate, will ich einfach nur weglaufen. Immerzu weglaufen …« Es kostete mich einige Anstrengung, die Erinnerungen daran abzuschütteln. »Und das wird mich in Schwierigkeiten bringen. Es hat mich in der Vergangenheit in Schwierigkeiten gebracht. Ich muss stärker werden. Schneller und besser vorbereitet. Ich möchte, dass du mich an meine Grenzen bringst, mir die schmutzigen

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