Frostblüte (German Edition)
Mal war es anders.
Sein Gesicht näherte sich meinem. Ich spürte seinen Atem auf meiner Haut. Dann küssten wir uns, unsere Lippen pressten sich aufeinander. Ohne nachzudenken, schmiegte ich meinen Körper an seinen. Die Hand auf meinem Rücken verkrampfte sich zur Faust, so dass mein Hemd über meinen Brüsten spannte. Ich atmete schwer, meine Hände umklammerten meine Knie, wollten ihn berühren, trauten sich jedoch nicht.
Er ließ mich so unvermittelt los, dass ich fast umkippte. »Das hätte ich nicht tun sollen.« Seine Stimme war leise, fast barsch. »Es ist nicht richtig.«
Die Worte trafen mich wie unerwarteter Schnee. In Sekundenschnelle verwandelte ich mich von einem lebendigen, atmenden Mädchen in etwas Erstarrtes und Kaltes. Scham verursachte mir körperliche Übelkeit; mein ganzer Körper war plötzlich in klammem Schweiß gebadet.
Oh, Vater, was habe ich getan?
»Es tut mir leid …«, flüsterte ich. Meine Stimme klang gebrochen und rau.
»Frost – Frost – das habe ich nicht …« Er klang verstört.
Ich schüttelte heftig den Kopf. »Ich weiß.«
»Es ist nicht deine Schuld. Ich hätte das nicht tun dürfen.«
»Nicht.« Ich rappelte mich auf.
Er erhob sich ebenfalls, streckte eine Hand aus, als wolle er – was? Mich zurückhalten? Trösten? Bevor seine Finger mich berühren konnten, war ein verdächtiges Räuspern in der Nähe zu hören. Wir fuhren auseinander. Es war das erste Mal, dass ich Luca überrumpelt sah – was es nur noch schlimmer für mich machte. Als wir uns umdrehten, sahen wir Arian im Schatten des Zeltes stehen. Er starrte auf seine Stiefelspitzen.
»Tut mir leid zu stören«, sagte er, auch wenn es nach dem Gegenteil klang. »Zwei der Kundschafter sind mit Berichten über die Truppenstärke der Feinde zurückgekommen, Luca. Ich dachte, du willst sicher so schnell wie möglich mit ihnen sprechen.«
Luca schien zu zögern. Er sah mich nicht an. Dann nickte er entschieden. »Stimmt. Wo sind sie?«
»Ich habe sie zu Livia geschickt. Sie sind auf dem Rückweg eine Felswand hinuntergestürzt. Nichts Schlimmes, aber sie haben beide ein paar Prellungen und Schürfwunden, die meiner Meinung nach behandelt werden sollten.«
»Gute Idee. Dann werd ich mal … gehen.« Er drehte sich zu mir um. Ich starrte auf den Boden.
»Könntest du hier eine Weile für mich übernehmen?«, hörte ich ihn Arian fragen. »Prüfe Frosts Reflexe und zeig ihr ein paar Grundabwehrhaltungen.«
Es entstand eine Pause, dann kam widerwillig: »Wenn du meinst, das wäre hilfreich.«
»Wäre es«, sagte Luca mit Nachdruck. »Frost, wir reden, sobald ich mich um diese Sache gekümmert habe.«
Ich gab keine Antwort. Einen Moment später hörte ich ihn seufzen. Er ging davon und ließ Arian und mich allein auf der Lichtung zurück.
Das Schweigen dauerte an. Die Demütigung verursachte mir Magenkrämpfe. Bestimmt hatte Arian alles gesehen. Ganz bestimmt. Dass er Luca versprochen hatte, mir etwas beizubringen, sollte garantiert nur dafür sorgen, Luca von mir loszueisen. Ich wartete auf das Geräusch seiner sich entfernenden Schritte.
Arian räusperte sich noch einmal. »In Ordnung. Nimm eine Verteidigungshaltung ein.«
Ich hob den Blick vom Boden. »W-was?«
»Hast du was an den Ohren? Mach dich bereit, dich zu verteidigen.«
Seine eisigen Augen blickten gereizt und ungeduldig, aber ohne eine Andeutung von Schadenfreude oder – noch schlimmer – Mitleid. Es war ihm ernst. Langsam brachte ich mich in Position, die Füße schulterbreit auseinander. Meine Glieder fühlten sich steif und schwer an. Arian stellte sich mir gegenüber. Er musterte mich kritisch und brummte etwas, das anerkennend oder abfällig gemeint sein konnte.
»Abwehren!« Seine Faust schnellte auf mein Gesicht zu.
Ich wich gerade noch rechtzeitig zurück, mit rudernden Armen versuchte ich das Gleichgewicht zu halten.
»Ich sagte abwehren, nicht zurückweichen«, fuhr er mich an.
»Ich w-weiß nicht, wie.« Protestierend hob ich die Hände. Ich war bereits völlig durcheinander und hatte schreckliche Angst, in Tränen auszubrechen.
Er wirbelte herum, ein Bein in einer todbringenden, fließenden Bewegung ausgestreckt.
Ich zuckte wieder weg. »Ich sagte, ich weiß nicht, wie!«
Die Verachtung auf seinem Gesicht war nun unübersehbar. »Ich bin nicht Luca. Lass dieses Hilfloses-kleines-Mädchen-Getue.«
»Wovon redest du?« Ich bewegte mich vorsichtig von ihm weg.
Er folgte. »Auch wenn er sich vielleicht nicht mehr daran
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