Frostblüte (German Edition)
Tricks zeigst – jede Taktik, jemanden fertigzumachen, die Luca nicht lernen musste.«
Er klang fast amüsiert, als er sagte: »Du gehst also davon aus, dass ich schmutzige Tricks kenne?«
»Du hast selbst gesagt, dass Luca ehrenhaft ist. Er kann es sich leisten, weil er so stark, so gut ist. Er kämpft anständig. Das werde ich nicht immer können. Du konntest es vermutlich auch nicht immer. Oder?«
Er seufzte. »Scheint so. Verdammter Luca.«
Bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, erhob er sich und war wieder ein quadratischer Schatten vor den Sternen. Er streckte mir die Hand entgegen. Ich zögerte einen Moment, bevor ich sie ergriff. Sein Griff war fester als Lucas; die Finger, die sich um meine schlossen, waren rau und dick und grob. Er zog mich ohne Anstrengung hoch, dann ließ er meine Hand sofort los.
»Sind wir jetzt Freunde?«, fragte ich.
»Kameraden«, verbesserte er mich. »Da ist die Gefahr geringer, dass ich dir in den Rücken falle.«
Als ich kurz darauf bei Lucas Zelt ankam, saß er schon auf dem Bett und wartete auf mich. Er war offenbar noch am Fluss gewesen. Seine nassen Haare hatten das Bernsteingold von Apfelwein und hingen ihm über Schultern und Rücken. Sein sauberes Hemd war nur halb zugebunden und entblößte die glatte, muskulöse Brust. Seine Füße waren nackt.
Er sah mich forschend an, sein Gesicht zeigte deutlich Besorgnis und Bedauern.
»Ich bin froh, dass du zurückgekommen bist. Ich habe mir allmählich Sorgen gemacht.« Es lag kein Vorwurf in seiner Stimme, trotzdem hatte ich das Bedürfnis, mich zu entschuldigen.
»Ich bin ein Stück gelaufen, um den Kopf freizukriegen.«
»Frost, was vorhin passiert ist –«
»Ich habe mit Arian geredet. Es tut ihm leid und es wird nie wieder passieren. Ich glaube, von jetzt an wird alles gut.«
Lucas Augenbrauen schossen nach oben. »Du hast mit ihm gesprochen? Wann?«
»Gerade eben, als ich meinen Spaziergang gemacht habe.«
»Das ist gut«, sagte er langsam. »Ich möchte nicht, dass du das noch einmal durchmachen musst. Aber das war nicht das Einzige, worüber ich mit dir reden wollte.«
»Bitte nicht.« Ich zwang mich zu einem Lächeln und versuchte meine Worte ebenfalls heiter klingen zu lassen. »Ich weiß, was du sagen willst; ich muss es nicht hören. Es war ein seltsamer Augenblick und es hätte nie passieren dürfen. Ich bin nicht deswegen hier, und deine … deine Freundschaft ist mir sehr wichtig. Wenn es für dich in Ordnung ist, lass uns einfach vergessen, dass es geschehen ist.«
Im dunklen Blau seiner Augen zeigte sich etwas – Erleichterung oder etwas anderes? –, aber sofort legte sich wieder ein Schleier darüber. Er sah weg. »Natürlich. Danke. Dann machen wir morgen mit der Ausbildung weiter?«
Ich nickte. »Ich sehe lieber zu, dass ich ein bisschen schlafe.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, zog ich mich hinter den geschnitzten Wandschirm zurück und verschob ihn so, dass er mich vollständig verdeckte. Ich wartete seinen Gute-Nacht-Gruß ab und löschte die Lampe. Dann vergrub ich das Gesicht in einem der Felle, die er mir gegeben hatte, und weinte.
Sechzehn
Mein Leben mit der Berggarde – als eine von ihnen, wenngleich auch nur eine Anfängerin – wurde sehr schnell zur gewohnten Routine. Von Zeit zu Zeit unterbrach ich, was immer ich gerade tat, weil mir der Atem stockte. Dann sah ich mich um und konnte kaum glauben, wie unvermittelt sich mein Leben und alles, was ich kannte, verändert hatte.
Zu anderen Zeiten schien alles, was zuvor gewesen war – das Leben voller Hunger, Schmerzen und Kampf –, nicht mehr zu sein als die wunde Stelle eines verblassenden Albtraums.
Ich konnte nicht entscheiden, welches Gefühl mich mehr irritierte.
Ich war überrascht und froh, als ich feststellte, dass Arian sich nicht vor unserer Abmachung zu drücken versuchte. Gründe hätte er genug gefunden. Auch wenn das Hauptziel der Berggarde – die Gefangennahme der Abtrünnigen und ihrer Anführer, einschließlich Lucas Bruder – bis zum Eintreffen der Verstärkung in der Schwebe hing, war Arian genauso beschäftigt wie Luca. Manchmal sogar noch mehr, denn er war für die täglichen Abläufe im Lager verantwortlich. Er sammelte die Berichte ein, schickte die Kundschafter los, machte Vermerke auf Karten, organisierte Wachen und andere Pflichtdienste und orderte Nachschub. Doch an den meisten Tagen tauchte er irgendwann auf, zog mich von dem weg, was ich gerade tat, und ließ mich Übungen machen, die
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