Frostblüte (German Edition)
zu den meisten Pfaden in den Bergen war der Abhang nicht steil, doch als wir den Wald erreichten, keuchte Arian.
»Ich muss nur meinen Rhythmus finden«, sagte er, ohne mich anzusehen, als wir in den Schatten des Waldes traten. »Du brauchst kein Aufheben darum zu machen.«
Ich verdrehte die Augen und überholte ihn, möglichst unauffällig trampelte ich das Gestrüpp nieder und hielt die Zweige zurück. Er warf mir gereizte Blicke zu, aber er befahl mir nicht, damit aufzuhören, was mir noch mehr Sorge machte. Der Weg durch den Wald führte unablässig bergauf. Innerhalb einer Stunde hatte die aufgehende Sonne die Luft feucht und stickig gemacht und Arians Gesicht nahm wieder diese besorgniserregende graue Färbung an.
Ich hätte ihn gern gedrängt, anzuhalten und eine Pause einzulegen, doch er hätte meinen Vorschlag sicherlich mit einem Achselzucken abgetan und wäre noch schneller geworden, um mir zu beweisen, dass er es konnte. Ich begann nach einem Bach oder Flüsschen zu lauschen. Eine Trinkpause wäre ein plausibler Grund, um anzuhalten.
Nach meiner Schätzung verging eine weitere Stunde, bevor ich vor uns das Plätschern von Wasser hörte. Arian war immer langsamer vorwärtsgekommen – er hatte angefangen, mit leicht ausgestreckten Armen zu gehen, offenbar rechnete er damit, jeden Moment umzufallen. Der kleine Bach sprudelte aus einer Felsspalte, und sobald wir ihn erreichten, setzte sich Arian auf einen der sonnenwarmen Felsen in der Nähe. Dies machte deutlicher als alles andere, wie erschöpft er sein musste.
»Sturer, hochmütiger Narr«, murmelte ich, als ich die Handschuhe abstreifte und sie an meinen Gürtel hängte.
Ich untersuchte den Spalt. Die bunten Flechten und das Moos auf den Felsen waren ein sicheres Zeichen, dass das Wasser unbedenklich war. Ich riss ein großes wächsernes Blatt von einem der Büsche am Bach und rollte es zu einem festen Kegel. Dann ließ ich etwas Wasser hineinlaufen. Sobald es gefüllt war, roch ich daran, tauchte den Finger ein und probierte. Kein stark metallischer Geschmack oder irgendwelche Rückstände auf meiner Zunge. Gut.
Ich trug das Wasser zu Arian. »Versuch zu trinken.«
»Bin doch kein Krüppel«, sagte er kurz angebunden. Doch er nahm das Blatt und leerte es mit zwei Schlucken.
»Mehr?«
Er nickte. Ich füllte den Blattkegel von neuem und brachte ihn zu Arian. Wieder stürzte er das Wasser herunter. Kurz darauf ließ er sich zurücksinken und schirmte die Augen mit dem Unterarm ab. Ich setzte mich auf die Erde, lehnte mich gegen den Felsen und legte die Wange auf meine verschränkten Arme. Arians keuchende Atemzüge schienen gleichmäßiger zu werden und ich meinte eine gesündere Farbe auf seinem Gesicht wahrzunehmen.
»Ich merke, dass du mich anstarrst. Schon wieder.«
»Ich habe ja nicht oft Gelegenheit, mir einen solchen Dickschädel anzusehen«, sagte ich und versuchte mir meine Besorgnis nicht anhören zu lassen. »Das koste ich aus.«
»Ein Glück, dass du diese Augen hast«, brummte er ein wenig schläfrig. »Ansonsten würde dein Mundwerk sämtliche Liebhaber in die Flucht schlagen.«
Ich schnaubte. »Ein Glück, dass du einen Schädel aus Stein hast, sonst wäre dein weiches Hirn jetzt schon Brei.«
»Ein Glück, dass du hier bist«, sagte er leise. »Sonst …«
»Sonst?«, wiederholte ich, nachdem eine Minute vergangen war.
Ein leises Schniefen kam als Antwort. Er war eingeschlafen.
Ich legte die Stirn auf meine Arme, schloss die Augen und erlaubte mir, für ein paar Minuten zu dösen. Dann kam mir etwas in den Sinn, das Ma immer gesagt hatte. Wenn jemand eine Kopfverletzung hatte und immer wieder einschlief, war das ein schlechtes Zeichen. Ich hob den Kopf und musterte besorgt Arians Gesicht. Er wirkte friedlich, aber wie sollte ich natürlichen Schlaf von etwas Schlimmerem unterscheiden?
Ich stand auf und lehnte mich mit der Hüfte gegen den Felsen, während ich sanft seine Schulter drückte. »Arian. Wach auf.«
Beruhigenderweise öffnete er sofort die Augen. Er sah mich ohne Schwierigkeiten an. »Bin ich …? Tut mir leid.« Er setzte sich vorsichtig auf und rieb sich den Nacken.
»Wenn du wirklich müde bist, solltest du schlafen, aber wir müssen eine geschütztere Stelle finden«, sagte ich und fühlte mich schuldig.
Arian öffnete den Mund, als wolle er jegliche Müdigkeit abstreiten, doch offensichtlich lag etwas Warnendes in meinem Blick. Er zuckte die Achseln. »Scheinbar bin ich nicht mehr so jung, wie ich mal
Weitere Kostenlose Bücher