Frostblüte (German Edition)
war.«
»O ja, alter Graubart. So steinalt, wie du bist, muss es wirklich schwierig sein, mit uns Jungspunden mitzuhalten.«
»Ich bin zwanzig«, sagte er würdevoll. »Als ich in deinem Alter war, hätte ich diesen Hieb locker weggesteckt.«
»Aber klar doch«, stimmte ich ruhig zu. »Und du konntest dir auch Flügel wachsen lassen, um deinen Gegnern Steine auf den Kopf zu werfen. An dem Tag, als wir uns das erste Mal begegnet sind, hast du mich mit links außer Gefecht gesetzt, ich habe zwei Tage gebraucht, um mich davon zu erholen. Dabei … habe ich einen Vorteil, den du nicht hast.«
»Vorteil?«
Als er nicht weitersprach, setzte ich mich neben ihn auf den Felsen. »Den Wolf.«
»So hast du es letzte Nacht genannt. Denkst du so über deine Anfälle von blinder Wut?«
Ich nickte schweigend. Ich hatte nicht vor, ihm alles über meinen Fluch anzuvertrauen, nicht an diesem Ort und nicht in diesem Augenblick. Die Waffenruhe zwischen uns fühlte sich immer noch zerbrechlich an und nur jemand wie Luca konnte sich meine verrückten Tiraden über Götter und Dämonen anhören, ohne mit der Wimper zu zucken.
Arian hatte Recht mit seiner Behauptung, Luca würde sich aufführen, als wäre er unsterblich.
Ich hatte plötzlich das Bild vor mir, wie Luca fiel, verletzt, wie Blut durch seine Uniform sickerte. Mein Brustkorb schien sich zusammenzuziehen.
Ich zwang mich ruhig Luft zu holen, als die Panik mich zu überwältigen drohte.
Arian sah mich fragend an. »Was hast du?«
Ich versuchte zu lachen. Heraus kam etwas, das verdächtig nach einem Aufschluchzen klang. »Ach, nichts. Ich habe – ich habe an Luca gedacht und was du gestern gesagt hast – dass er … dass er keine Angst hat. Er braucht uns, damit wir ihn daran erinnern, dass er ein Mensch ist. Stattdessen sind wir hier. Ich kann nicht – was, wenn –« Meine Stimme brach.
Arian sagte leise: »Ich versuche seit Jahren dafür zu sorgen, dass ihm nichts passiert. Manchmal habe ich das Gefühl, gegen ihn zu arbeiten, denn dieses Selbstvertrauen, das er an den Tag legt, der Glaube … nach allem, was er durchgemacht hat, ist das fast erschreckend.«
»Er ist nicht wie wir, oder?«, fragte ich und starrte auf meine rauen, zerkratzten Hände. »Es ist, als wären Menschen – normale Menschen – aus Silber gemacht. Am Anfang glänzend, doch dann werden sie fleckig, weil die Zeit vergeht, weil sie schlecht behandelt werden. Luca … Luca ist Gold. Nichts auf der Welt kann ihm seinen Glanz nehmen.«
»Du verstehst ihn«, sagte Arian seufzend. »Das ist gut.«
War es das? War es wirklich gut für mich, genau zu wissen, wie breit der Graben war, der Luca und mich trennte, wie wenig wir zusammenpassten? Konnte irgendeine Liebe eine so große Ungleichheit überstehen, selbst die Liebe eines Menschen wie Luca? Denn ich war nicht normal. Ich war nicht aus Silber. Ich war nie strahlend und glänzend und sauber gewesen.
Ich war kein edles Metall.
Was, wenn Luca sich bei dem Versuch aufrieb, mich in Gold zu verwandeln?
Arian rückte näher zu mir, als wolle er mich beruhigen. »Frost … mach dir nicht ständig so viele Gedanken. Du reibst dich auf.«
Ich lachte noch einmal, dieses Mal gelang es mir besser. Dankbar für die Ablenkung drehte ich mich zu ihm. »Du bist der Letzte auf der Welt, der mir diesen Ratschlag geben sollte.«
Er war näher, als mir bewusst gewesen war. Ich konnte die winzigen bräunlich-grauen Sprenkel in seinen Augen sehen und den dunkelgrünen Ring um die Iris und zum ersten Mal fiel mir auf, dass sie schön waren. Arian war schön. Auf seine Art vielleicht genauso schön wie Luca.
Im nächsten Moment umschlossen seine kräftigen rauen Finger mein Gesicht. Er brachte unsere Lippen zusammen und nahm Besitz von meinem Mund. Schock – und etwas anderes, etwas Schuldbewusstes und Erregtes, das mich zusammenzucken ließ – durchfuhr mich. Als ich blind eine Hand hob, fand sie sein Herz. Ich konnte dessen schnellen, unregelmäßigen Rhythmus spüren. Arian zitterte.
Ich stieß ihn weg. Er sträubte sich, seine Finger umfassten mein Gesicht fester. Die Angst war sofort größer als der Schock. Ich schlug mit beiden Händen gegen seine Brust und war entschlossen, mich mit aller Kraft zur Wehr zu setzen.
Er ließ mich los.
Ich starrte ihn an. Er atmete schwer, doch sein Gesichtsausdruck ließ sich nicht deuten. Ich konnte nicht sagen, ob er wütend, verlegen oder enttäuscht war. Ich konnte nicht sagen, ob ich wütend, verlegen oder
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