Frostblüte (German Edition)
enttäuscht war.
Enttäuscht?
Bevor einer von uns etwas sagen konnte, rief eine fremde Stimme: »Sieh an, sieh an – mir scheint, wir stören!«
Vierundzwanzig
Ich riss mich von Arian los und sprang auf. Dads Axt schien aus eigenem Antrieb in meine Hand zu springen. Ich drehte mich zu dem Sprecher um.
Es war ein Mann. Ein Sedrier. Er stand auf dem Hügel über dem Bach, eine Hand lag lässig auf dem Griff seines Schwertes. Ich hielt ihn für ungefähr dreißig, er war groß und von schlanker, muskulöser Gestalt. Er kam mir irgendwie bekannt vor. Lag es an der Form seines Gesichts? Oder an der selbstbewussten, anmutigen Haltung? Die Ähnlichkeit löste den Wunsch in mir aus, ihm zu vertrauen wie einem Freund.
Bis ich ihm in die Augen blickte. Sie hatten ein auffallendes, klares gräuliches Blau, das durch die streng nach hinten geflochtenen hellen Haare noch betont wurde. Irgendetwas Finsteres – nein, mehr als einfach nur finster, etwas Hämisches – lauerte hinter diesen Augen. Ich hatte diesen Ausdruck schon einmal gesehen. In Ulems Augen. In denen von Werrick. Dieser Mann war kein Freund. Ein langer, kalter Schauer lief mir über den Rücken.
Während ich ihn ansah, kamen weitere sedrische Soldaten zwischen den Bäumen hervor und stellten sich neben den ersten. Vier, fünf, sechs … Ich zählte zwölf, mit dem Sprecher dreizehn. Verstohlenes Rascheln in den Büschen sagte mir, dass dort noch mehr lauerten. Wir waren schon umzingelt. Umzingelt, während ich zugelassen hatte, dass Arian mich küsste. Warum hatte er das getan? Warum um Himmels willen hatte ich das auch nur für eine Sekunde zugelassen?
Vater, vergib mir, dass ich so dumm war.
Diese Männer mussten Aufständische sein. Sie hatten alle helle Haut und größtenteils helle Haare; allerdings waren sie sauberer, trugen bessere Rüstungen und waren besser bewaffnet als die, die ich bisher gesehen hatte. Zwei Armbrüste waren auf uns gerichtet. Oder vielmehr auf Arian, der noch immer reglos hinter mir auf dem Felsen saß.
Der Mann mit den bösartigen Augen lachte. Es war ein perlendes, ansteckendes Geräusch, das – wäre ich nicht starr vor Angst gewesen – auch in mir den Wunsch zu lachen ausgelöst hätte.
»Hast du endlich ein Liebchen gefunden, Arian?«, fragte er. »Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag noch erlebe. Nicht, nachdem du Luca jahrelang wie ein verlorenes Hündchen gefolgt bist. Warum stellst du mich ihr nicht vor? Oder noch besser, warum erzählst du mir nicht, wo der liebe Luca steckt?«
Sie kennen sich. Ich warf Arian einen kurzen Blick zu. Sein Gesicht war vollkommen ausdruckslos, die Augen so eisig wie bei unserer ersten Begegnung. Er erhob sich langsam und stellte sich neben mich, sein Atem ging stoßweise.
»Du bist nicht würdig, seinen Namen auszusprechen«, sagte er scharf.
»Würdiger als ein dreckiger Mischlingsbastard«, erwiderte der sedrische Mann, noch immer lächelnd. »Aber das tut nichts zur Sache. Ich jage meinem kleinen Bruder schon seit Monaten kreuz und quer durch die Berge hinterher und heute werde ich ihn finden. Dich zu erwischen, ist eine unerwartete Dreingabe, die ich auskosten werde. Das wird ihm doch bestimmt das Herz brechen?«
Auf meinem Körper breitete sich kalter Schweiß aus. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich Arians Hände zu Fäusten ballten.
Kleiner Bruder.
Ion Constantin wandte seinen hellen Blick wieder mir zu. »Gegen dich habe ich jedoch nichts. Du kannst es dir leichter machen, wenn du mir erzählst, wo ihr hinwollt. Weißt du, ich finde es sowieso heraus, doch je weniger ich mich dabei ärgere, umso weniger wirst du leiden.«
Sein Ton machte klar, dass ich so oder so leiden würde. Nicht, weil er die Information wirklich wollte oder brauchte, sondern weil es ihm Vergnügen bereitete.
Ich sah hilflos zu den zwei Männern mit den Armbrüsten. Wir waren so hoffnungslos unterlegen. Arian war kaum in der Lage zu gehen, geschweige denn zu kämpfen. Er hatte nicht einmal ein Messer. Ich war das Einzige, was zwischen ihm und dem Tod stand.
Ich spürte, wie mein Atem schneller wurde; mein Herz begann zu pochen. Meine Wahrnehmung wurde durch die Angst beinahe schmerzhaft verschärft.
Wir werden sterben. Es gibt nichts, was ich tun kann.
Vater, was nun? Wie soll ich ihn retten?
Ion starrte mich noch immer an und wartete auf meine Antwort. Schließlich zuckte er mit den Schultern und wandte sich wieder an Arian. »Nicht die Hellste, was? Das würde natürlich erklären,
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