Frostblüte (German Edition)
Albtraums graut mir am meisten. Egal wie lange oder schnell ich renne, ich kann ihm nie entkommen. Der Traum endet immer gleich.
Ein hoher, zerklüfteter Felsen ragt vor mir auf und meine Hände finden nirgendwo Halt. Schluchzend und keuchend kralle ich mich mit blutenden Fingern an den Felsen und suche nach einem Spalt, einem Riss, etwas, irgendetwas, dass mir die Flucht ermöglicht. Es gibt nichts. Ich komme nicht weiter.
Das Geheul der Wölfe wird lauter und hallt von den Felsen wider, die meine Grabkammer sein werden, ich höre nichts anderes mehr. Als ich mich umdrehe, um ihnen entgegenzutreten, strömen sie über den Schnee auf mich zu. Ohne zu zögern, stürzt sich der Erste mit gefletschten Zähnen und im Sternenlicht leuchtend auf mich. Ich stoße einen Schrei aus …
Und im selben Augenblick verwandelt sich mein Schrei in Knurren, mein schreiender Mund in eine Schnauze mit scharfen Fangzähnen. Ich falle auf meine geschwächte Beute, schlage die Zähne in das warme Fleisch, eisensüßes Blut spritzt über mein Fell und verschmiert es.
Wenn mein Hunger gestillt ist, hebe ich mein tropfendes Gesicht zum Mond und stimme in das siegreiche Geheul meiner Brüder ein.
Wir sind der Wolf.
Fürchtet uns.
Dreiundzwanzig
Auf einen Ellbogen gestützt beugte ich mich über Arian. Selbst im Schlaf sah sein Gesicht grau und erschöpft aus. Er hatte seine Verletzungen in der Nacht zuvor heruntergespielt – aber wenn es jemanden gab, der aus purer Sturheit einen Streit vom Zaun brach, obwohl er an der Schwelle des Todes stand, dann Arian. Ich war zerschlagen und voller blauer Flecken und mein Hirn war benebelt von den Strapazen des Vortages und dem Nahrungsmangel, und dabei hatte ich keinen Schlag auf den Kopf bekommen. Und ich wusste, dass der Wolf daran arbeitete, mich gesund zu machen. So zwiespältig dieser Vorteil auch sein mochte, Arian wurde er nicht zuteil. Er brauchte Ruhe.
Der Tag war gerade erst angebrochen. Auf dem Fluss funkelte bereits das Licht, aber in der kleinen Höhle war es noch dämmrig. Ich konnte mich hinausschleichen und Feuerholz sammeln, ohne ihn zu wecken. Sobald das Feuer brannte, wäre er vielleicht einverstanden zu warten, dass ich etwas Essbares auftrieb, um es darauf zu kochen. So würde er sich wenigstens noch ein paar Stunden ausruhen …
»Ich merke, dass du mich anstarrst«, sagte er und drehte den Kopf.
Plötzlich berührten sich unsere Nasenspitzen. Arian schluckte hörbar. Ich lehnte mich zurück und zupfte mein Hemd zurecht. Hoffentlich waren meine Wangen nicht zu rot.
»Tut mir leid. Ich wollte dich nicht aufwecken.«
»Irgendwann muss ich ja aufstehen«, sagte er, ohne den Blick von der Höhlendecke abzuwenden.
»Nicht gleich. Ich werde nach Feuerholz suchen und schauen, ob ich etwas Essbares für uns auftreiben kann.«
»Weißt du irgendwas über die essbaren Pflanzen und Pilze in diesem Land?«, fragte er, den Blick noch immer zur Decke gerichtet.
Ich schnitt eine Grimasse. »Sie werden schon nicht so viel anders sein als die in Uskaand. Ich könnte auch versuchen einen Fisch zu fangen.«
Arian seufzte, dann rollte er sich auf die Seite und richtete sich vorsichtig auf. Er gab keinen Laut von sich, doch sein angespannter Kiefer und der Schweißfilm auf seiner Haut zeigten, wie anstrengend die Bewegung für ihn gewesen war.
»Idiotin. Du wirst uns beide mit deinen Ablenkungsversuchen vergiften. Wir bleiben nicht hier, also schlag es dir aus dem Kopf.«
»Hast du eine Ahnung, wie schlimm du aussiehst? In diesem Zustand schaffst du es keinen Kilometer – und zurück zu unserem alten Lagerplatz sind es vielleicht siebzig. Warum kannst du nicht einfach vernünftig sein?«
»Mir geht es gut. Ich habe Schlimmeres überlebt als dieses Beulchen.«
»Ganz klar«, sagte ich grimmig.
Statt mich anzuknurren, wie ich eigentlich erwartet hatte, lächelte er schief. »Ja. Deshalb versuch ausnahmsweise mal selbst vernünftig zu sein. Wir müssen die anderen finden. Wir haben keine Jagdausrüstung dabei, kein Essen und keiner von uns beiden ist geschickt genug, ausreichend Nahrung für ein paar Tage zu beschaffen. Mir wird es nicht besser gehen, wenn ich hier herumliege und verhungere. Als Erstes werde ich versuchen herauszufinden, wo wir sind. Dann können wir entscheiden, was wir als Nächstes tun. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte ich grummelnd.
»Gut. Dann lass uns losgehen. Je schneller wir aus dieser Höhle herauskommen, umso besser.«
»Ja, kommandier mich
Weitere Kostenlose Bücher