Frostengel
fragen, ob sie ein Aspirin hatten.
Es gab noch viel für mich zu tun. Diese Mädchen hatten mir tatsächlich weitergeholfen. Der Fahrer war Harald gewesen. Ich kannte ihn und Willi. Sie waren Brüder und ähnelten sich. Nicht nur äußerlich. Obwohl beide verheiratet waren, flirteten sie mit uns Mädchen auf Teufel komm raus. Mir war das immer peinlich, ja sogar unangenehm gewesen.
Doch es gab genug andere, die sich bereitwillig auf dieses Spiel eingelassen hatten. Julia hatte nicht zu ihnen gehört, soweit ich wusste. Doch im Moment zweifelte ich an allem. Was wusste ich schon wirklich?
Ich tupfte meine Hände mit einem Papierhandtuch ab und verließ die Toilette.
Der klägliche Rest Tee in meiner Tasse war mittlerweile kalt geworden, doch das störte mich nicht. Ich fragte den Kellner nach einer Aspirin. Er nickte. Wenig später brachte er mir eine Tablette.
»Danke. Und kann ich dann gleich zahlen? Zwei Tassen Tee und das Aspirin.«
Er zwinkerte mir zu. »Drei zwanzig für den Tee, der Rest geht aufs Haus.«
Ich gab ihm drei fünfzig. Mehr Trinkgeld konnte ich mir nicht leisten. Ich nahm die Tablette und spülte sie stehend mit dem kalten Tee hinunter. Es musste Mittagszeit sein, denn die meisten Gäste waren gegangen. Mittagessen. Ich dachte an Corinna und daran, dass heute Mittag nicht einmal ich ihr beim Essen Gesellschaft leisten würde. Ein schlechtes Gewissen machte sich in mir breit, doch dann überlegte ich, dass meine Schwester wahrscheinlich ohnehin nicht daheim war. Sonntage zu Hause waren noch trostloser als andere Tage. Corinna hatte eine Menge Freunde, bei denen sie sich einladen konnte. Tat sie auch regelmäßig. Ich war nicht gerade begeistert von den Kreisen, in denen sie sich bewegte, aber sie hatte sich schon so lange durchgeschlagen, da kam es auf heute auch nicht mehr an. Corinna würde am Abend da sein – und morgen und auch noch übermorgen. Julia hingegen war verschwunden und ich wusste nicht, wann und ob ich sie wiedersehen würde.
Als ich die Tür nach draußen aufstieß, atmete ich auf. Die Luft war nach der Wärme im Lokal angenehm. Mehr als zuvor spürte ich die Hitze meiner Wangen. Es würde noch eine Weile dauern, bis die Tablette wirkte, die mir der Kellner gegeben hatte.
Eine große Gestalt kam auf mich zu und sofort erkannte ich sie an ihrem leicht hinkenden Gang. Leon! Was wollte der hier?
Ich straffte meine Schultern und wartete. Im Grunde war es egal, ob ich ihn gleich hier, auf der Straße, nach Julia fragte. Die Gelegenheit war da, also würde ich sie nützen.
Ich studierte Leons Gesichtsausdruck, als er mich entdeckte: angespannt, unsicher. Aus Sorge oder aus Angst? Angst wovor?
»Hi Leon, du hast Julia doch gestern im Grätzel getroffen, stimmt´s?« Ich versuchte, meine Stimme neutral klingen zu lassen.
»Hallo Theresa. Ja, ich war da. Aber ich bin um zehn gegangen. Sie ist noch geblieben.«
»Ach ja?«
Leon presste die Lippen aneinander. »Ich …«, begann er, beendete seinen Satz aber nicht.
»Du beobachtest sie doch ständig«, brach es aus mir heraus. »Du bist immer dort, wo sie auch ist. Ein verdammter Stalker bist du!«
Er senkte seinen Blick, konnte mich nicht ansehen. Es stimmte also. Ich hatte mitten ins Schwarze getroffen.
»Du verfolgst sie. Dauernd. Warum dann gestern nicht? Hat sie es endlich bemerkt? Hat sie dich abblitzen lassen?« Ich war laut geworden und Tränen liefen über meine Wangen. Mit einer fahrigen Bewegung wischte ich sie weg.
Nun sah er mich an. »Du kapierst auch gar nichts.« Er schüttelte den Kopf.
»Ach, was kapier ich denn nicht? Man muss ja kein Genie sein, um zu merken, dass du dich bei ihr einschleimen wolltest. Mir wird übel, wenn ich daran denke, dass du damit sogar Erfolg gehabt hast.«
»Was für ein Blödsinn! Ich schleime mich bei niemandem ein. Bei Julia schon gar nicht. Habe ich gar nicht notwendig. Und überhaupt. Vielleicht kannst du mich mal darüber aufklären, was das ganze Theater soll?«
Er sah wirklich so aus, als ob er keine Ahnung hätte, worüber ich sprach. Vielleicht tat er auch bloß so.
Ich seufzte. Meine Überrumpelungstaktik hatte nichts genützt. »Julia ist gestern Abend nicht nach Hause gekommen. Nach dem Grätzel hat sie keiner mehr gesehen. Sie kann doch nicht einfach vom Erdboden verschluckt worden sein.«
Leon sah mich an und öffnete den Mund. Dann schüttelte er den Kopf, bevor er sagte: »Du glaubst wirklich, ich hätte mit ihrem Verschwinden etwas zu tun? Dir ist echt
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