Frostengel
sogar nützen. Lena und Fiona, die nie von Claudias Seite wichen, drehten sich ebenfalls zu mir um. Die drei waren ja so was von gleichgeschaltet.
»Geht so. Sag mal, warst du gestern auch hier?«
Claudia schüttelte den Kopf. »Nee, gestern war ich mit Jenny und Marco im Kino. Warum?«
»Habt ihr Julia vielleicht gesehen?«, wandte ich mich an ihre ewigen Begleiterinnen.
Fiona und Lena schüttelten den Kopf.
»Warum fragst du, Theresa?« Claudia hob die Brauen und grinste. »Hängt etwa der Freundinnen-Haussegen schief?« Lena und Fiona kicherten. Am liebsten hätte ich sie für diese Bemerkung einfach stehen lassen. Doch ich riss mich zusammen. Ich wusste ja, warum ich Claudia und ihre zwei Freundinnen nicht leiden konnte, und das musste ich jetzt verdrängen – für Julia.
»Nein, ich suche Julia. Sie ist … weg.«
»Was soll das heißen, sie ist weg?«
Die Hellste war Claudia auch noch nie gewesen. Ganz zu schweigen von den anderen beiden. Also atmete ich tief durch und versuchte ihr zu erklären, wofür es keine vernünftige Erklärung gab: »›Weg‹ heißt, sie ist seit gestern Abend verschwunden. Ihre Mutter hat mich angerufen. Sie ist nicht nach Hause gekommen. Keiner weiß, wo sie steckt.«
»Oh! Sorry. Wie gesagt, ich war nicht hier. Glaubst du … ich mein, vielleicht ist sie ja einfach durchgebrannt. Seit sie diese Tote gefunden hat, war sie irgendwie eigenartig drauf. Ganz anders als sonst. Sie hat ja kaum mehr mit wem gesprochen.«
Lena und Fiona nickten zustimmend. »Ja, sie hat sich ja auch richtig gehen lassen, oder?« Lena versuchte, nachdenklich die Stirn in Falten zu legen, was mich unter anderen Umständen vielleicht amüsiert hätte.
»Es hat sie halt ziemlich beschäftigt. Würde dir wahrscheinlich auch nicht anders gehen. Also, wenn ihr zufällig noch was hört … wäre nett, wenn ihr mich anruft.«
»Okay«, sagte Claudia leichthin, als ob ich sie um ihren Radiergummi gebeten hätte. Na ja, richtig viel geschnallt hat Claudia noch nie – schon gar nicht, wenn es nicht um Mode und neueste Accessoires ging.
Von denen würde ich wohl nichts Neues erfahren. Mein Blick wanderte zur Bar. Mein Tee stand mittlerweile an meinem Platz. Ich bahnte mir den Weg dorthin. Vielleicht hatte der Typ hinterm Tresen Julia gesehen. Ich fischte ein Foto aus meiner Geldbörse, das Julia und ich kurz nach Weihnachten in einem dieser alten Passbildautomaten aufgenommen hatten. Ich versuchte vergeblich, keinen Blick darauf zu werfen – es war ein spontaner Einfall von Julia gewesen, diese Bilder zu machen, dabei hasse ich Fotos von mir. »Auf Schwarz-Weiß-Fotos sieht man immer super aus, komm schon!«, hatte sie mich schließlich überredet.
Das war vor Melissas Leiche gewesen.
Ich räusperte mich und hielt es dem Kellner unter die Nase. »Entschuldige, aber hast du meine Freundin gestern hier gesehen?«
Er schüttelte den Kopf, dass seine Rastazöpfe nur so flogen. »Nee, ich hatte gestern keinen Dienst. Sorry.«
»Trotzdem danke.«
Die Musik aus den Lautsprechern dröhnte in meinem Kopf und der Tee hatte mich ordentlich durchgeheizt. Ich fühlte mich schon besser, wenn auch meine Erkundigungen bisher mehr als dürftig gewesen waren. Ich steuerte den nächstbesten Tisch an, wo vier Leute saßen, die ich vom Sehen, nicht aber mit Namen kannte. »Hallo. Ich suche meine Freundin. Julia Mechat. Hat einer von euch sie gestern gesehen oder mit ihr gesprochen?« Die vier machten sich nicht einmal die Mühe, das Foto genauer zu betrachten, sondern schüttelten bloß wortlos den Kopf.
Auf zum nächsten Tisch. Stephanie Irgendwer mit ihrer Clique. Sie hatte letztes Jahr die Schule abgebrochen. Wir hatten nie viel miteinander zu tun gehabt, ihre Freunde kannte ich gar nicht.
»Hi Stephanie. Ich suche meine Freundin. Sie war gestern hier, ist aber nicht heimgekommen. Hast du oder deine Freunde sie vielleicht …?«
Stephanie nahm das Foto von Julia in die Hand und betrachtete es näher. Dann schüttelte sie den Kopf und gab es weiter. »Nee, sorry, ich war gestern aber auch die ganze Zeit hinten. Ich hatte so einen guten Lauf beim Billard, Carla musste mir einen Drink nach dem anderen spendieren …« Sie grinste das Mädchen neben sich an, die ihr einen freundschaftlichen Schubs gab. Sie schaute mich an und sagte lächelnd: »Ich hab deine Freundin leider auch nicht gesehen, habe ja die meiste Zeit an der Bar rumhängen müssen …«
Ich lächelte zurück, auch wenn mir ganz und gar nicht danach
Weitere Kostenlose Bücher