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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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Ende des Dorfes, Julia lebte in der besseren Wohngegend. Anstatt nach Hause zu gehen, schlug ich die entgegengesetzte Richtung ein. Wenn ich schon in der Stadt nichts hatte ausrichten können, konnte ich wenigstens Julias Eltern einen Besuch abstatten.
    Vor dem Haus stand ein Polizeifahrzeug. Ich spürte, wie meine Beine nachgaben. Mein Finger drückte auf den Klingelknopf. Auch als ich den Türöffner summen hörte, konnte ich ihn nicht von der Taste lösen, es war, als wäre er dort festgewachsen. Die Tür schwang auf und Herr Mechat, Julias Vater, guckte verärgert heraus. Als er mich erkannte, lief er den Gartenweg entlang, um mir zu öffnen.
    »Theresa! Gut, dass du da bist.«
    »Die Polizei …«, brachte ich stotternd hervor. In meinem Kopf wirbelten die Worte durcheinander. Das Einsatzfahrzeug konnte vieles bedeuten: Julia hatte einen Unfall gehabt. Oder die Beamten hatten sie gefunden und nach Hause gebracht, oder …
    »Sie nehmen die Vermisstenanzeige auf.«
    Ich erkannte Herrn Mechats Stimme kaum wieder, sie war brüchig und er stockte beim Reden. Während er voranging und mir die Eingangstür aufhielt, klang es im Takt meines Herzens ver-misst, ver-misst, ver-misst.
    Er führte mich ins Wohnzimmer. Julias Mutter saß auf der riesigen weißen Ledercouch, um die ich Julia immer glühend beneidet hatte. Eines Tages würde ich mir auch so eine zulegen, hatte ich zu ihr immer gesagt. Eine Beamtin in Uniform saß ihr gegenüber auf dem Hocker, ein zweiter Polizist im Ledersessel zu ihrer Rechten. Vor ihr auf dem Tisch lagen zerknüllte, aufgeweichte Taschentücher. Frau Mechat blickte auf, als wir eintraten. Ein winziges Lächeln begrüßte mich.
    »Theresa«, flüsterte sie und stand auf. Ich ging auf sie zu, ein wenig unsicher, was ich tun sollte, um sie zu trösten. Sie nahm mir die Entscheidung ab, zog mich an sich und umarmte mich, hielt mich fest.
    Nach einer Weile löste sie ihre Arme von mir und zog mich an der Hand neben sich auf die Couch. Ich sah die beiden Polizisten einen fragenden Blick wechseln.
    »Das ist Theresa, Julias beste Freundin. Sie gehört schon fast zur Familie. Niemand kennt Julia besser als sie«, erklärte Frau Mechat.
    »Sehr schön, das wird uns helfen. Junge Mädchen erzählen ihren Eltern ja nicht mehr alles, vertrauen sich eher Freundinnen an. Verrätst du uns deinen vollen Namen?«
    Automatisch antwortete ich: »Theresa Kleistner.« Die weiteren Fragen, die mir die Beamtin stellte, hörte ich nicht mehr, denn das Einzige, woran ich denken musste, waren Frau Mechats Worte: Sie gehört schon fast zur Familie. Das und die Umarmung brachten mich zum Weinen. Still flossen meine Tränen. Frau Mechat reichte mir ein Taschentuch, doch ich hielt es bloß in der Hand und benutzte es nicht. Ich hatte das Gefühl, mich hier meiner Tränen nicht schämen zu müssen.
    Julias Vater sah mit einem Blick, dass es mir nicht gut ging. »Du hast Fieber, nicht wahr?«
    »Ich habe was dagegen genommen«, sagte ich und fühlte mich ertappt. Doch die erwartete Standpauke blieb aus. Stattdessen sagte er: »Ich mache dir Tee.« Dann ging er in die Küche.
    Die Polizistin fragte mich tausend Sachen. Auf vieles wusste ich keine Antwort. Wo könnte sie sein? Hattet ihr einen geheimen Treffpunkt, hatte sie Freunde, Verwandte, bei denen sie sich aufhalten könnte? Nahm sie Drogen? War sie in letzter Zeit anders als sonst?
    Ich schüttelte auf jede der Fragen bloß den Kopf. Herr Mechat kam aus der Küche und stellte ein Tablett mit dampfenden Tassen und einem Teller belegter Brötchen auf den Couchtisch. »Hier«, sagte er und reichte mir eine der Tassen und eine Tablette. Fragend sah ich ihn an. »Hilft gegen Grippe. Und iss etwas.«
    Gehorsam nahm ich die Pille in die Hand, schluckte sie aber noch nicht, weil der Tee zu heiß war, um sie damit hinunterzuspülen. Unschlüssig drehte ich sie zwischen den Fingern und legte sie schließlich auf die Untertasse.
    »Wann hast du Julia zuletzt gesehen?«, fragte die Beamtin. Ich sagte ihr, das sei am Freitag in der Schule gewesen. Die Fragen gingen weiter. Ich bemühte mich, ihnen zu folgen, sie wahrheitsgemäß zu beantworten, doch ich merkte auch, dass es mir zunehmend schwerer fiel, mich zu konzentrieren.
    Ich nahm ein Brötchen, weniger aus Hunger, sondern mehr aus dem Bedürfnis, Zeit zwischen all den Fragen zu gewinnen. Wenn ich kaute, konnte ich nicht sprechen.
    Ich trank einen kleinen Schluck von meinem Tee, der nach Kräutern schmeckte. Er war so weit

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