Frostengel
leichtsinnig. Gerade in letzter Zeit häufen sich die Zeitungsmeldungen, dass Schulen ausgeraubt wurden.«
Ich zuckte bloß mit den Schultern. Die Bewegung reichte aus, dass ein heller Schmerz meinen Nacken durchzuckte.
»Es könnte also auch Klaus gewesen sein«, überlegte Karin laut.
»Theoretisch schon. Ich habe ihn ja nicht gesehen. Aber ich glaube es nicht. Warum sollte er mich die Treppe hinunterstoßen?«
»Vielleicht weil er wütend darüber ist, dass die Beziehung zu deiner Mutter kaputtgegangen ist? Weil er seinen Job als Reporter los ist, nachdem du ihn überführt hast? Oder weil er sich für die Kratzer in seinem Gesicht rächen wollte?« Leon ging wieder im Zimmer auf und ab. Er machte mich ganz nervös. Karin hingegen schien seine Rastlosigkeit nicht zu stören. »Ich sage dir, was ich tue: Als Erstes werde ich diesen Klaus befragen und nachprüfen, wo er heute am späten Nachmittag war. Nur zur Sicherheit. Außerdem werde ich in der Schule mit den Leuten sprechen. Vielleicht hat ja doch jemand was beobachtet. Und du …«, sie zeigte mit dem Finger auf mich, »… du passt auf dich gut auf. Ich mache mir langsam Sorgen. Irgendwie scheint die Sterblichkeitsrate bei den weiblichen Teenagern in eurem Ort ziemlich hoch zu sein. Also, ich melde mich wieder. Und jetzt erst mal gute Besserung, Theresa.« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und ging zur Tür hinaus.
»Und jetzt?«, fragte Leon.
»Keine Ahnung. Ich kann im Moment nicht denken.«
Er grinste. »Wie gut, dass mir was einfällt, wobei du garantiert nicht denken musst.«
Meine Mutter kam natürlich doch. Sie hatte Corinna im Schlepptau, die ein mürrisches Gesicht zog, als hätte sie etwas Besseres vorgehabt, als mich zu besuchen. Doch als sie mich im Bett liegen sah, kam sie auf mich zugestürmt. »Nicht zu heftig«, warnte ich sie. Also setzte sie sich bloß auf die andere Seite des Bettes und nahm meine Hand. »Und da heißt es immer, ich soll auf mich aufpassen.«
»Ich bin über meine eigenen Füße gestolpert«, sagte ich. Leon runzelte die Stirn, ich hoffte, er verstand, dass ich auf keinen Fall Corinna und meine Mutter auch noch beunruhigen wollte.
»Es ist ja nichts passiert, außer einer Megabeule und ein paar Abschürfungen und blauen Flecken. Morgen darf ich wieder nach Hause.«
Meine Mutter setzte sich auf den Stuhl, auf dem Karin gesessen hatte. »Ich hole dich natürlich ab. Aber danach musst du bis zum Abend selbst klarkommen. Ich bin diese Woche alleine im Geschäft und …«
»Das ist nicht notwendig, Frau Kleistner. Ich kümmere mich um Theresa«, bot Leon an.
Meine Mutter zögerte, doch dann stimmte sie erleichtert zu. »Danke, Leon. Ich komme dann, so schnell es geht, nach Hause.«
Corinna legte sich zu mir aufs Bett und kuschelte sich an mich. »Hättest du heute eigentlich nicht was Besseres zu tun gehabt, als mich zu besuchen? Der erste Tag, an dem du dich wieder mit deinen Freunden treffen kannst – und stattdessen … ich finde es lieb von dir, dass du darauf verzichtet hast«, sagte ich zu ihr.
»Na ja, mir fiel ein, dass du vor ein paar Tagen gesagt hast, ich sei der wichtigste Mensch in deinem Leben – und da konnte ich halt nicht anders.«
Ich musste lächeln. Corinna machte manchmal Fehler, aber sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck, wenn es drauf ankam.
Etwa eine Stunde später war ich mit Leon wieder allein. Ich schloss die Augen. Es fiel mir schwer zuzugeben, dass ich total erledigt war und mich danach sehnte, ein wenig schlafen zu können.
Ich musste wirklich kurz eingedöst sein, denn das nächste, was ich spürte, war, dass Leon mir einen Kuss aufs Haar drückte. »Ich geh jetzt, damit du dich ausruhen kannst. Morgen bin ich wieder da.«
Sogar zum Antworten war ich zu müde. Wer glaubt, dass man sich in einem Krankenhaus ausruhen und erholen kann, der irrt gewaltig. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen – kaum war ich eingenickt, wurde mein Abendessen gebracht, die Krankenschwester kam mit dem Fieberthermometer, als ob eine Gehirnerschütterung die Körpertemperatur beeinflussen würde. Ein Arzt sah nach mir, danach noch mal die Nachtschwester, die mir eine Tablette brachte. Ich hoffte bloß, dass das zweite Bett bis morgen frei blieb.
Am nächsten Morgen hatte ich das Zimmer zwar zum Glück immer noch für mich, aber ich fühlte mich alles andere als erholt. Schon um sechs, halb sieben weckten mich Geräusche vom Flur, keine Chance, wieder einzuschlafen. Wenigstens hatten die
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