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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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ich Kopien gemacht habe.« Ich schüttelte den Kopf und wünschte, ich hätte es nicht getan. Vor Schmerz zuckte ich zusammen. Mit einer Hand tastete ich vorsichtig meinen Hinterkopf ab und fand eine dicke Beule unter meinem Haar. »Ich weiß es nicht mehr genau.«
    Die Ärztin tätschelte mir den Arm. »Macht nichts. Die Erinnerung kommt bestimmt wieder.«
    Ein wenig später lag ich in einem Zweibettzimmer. Der typische Krankenhausgeruch nach Desinfektionsmittel und Früchtetee bewirkte, dass mir wieder übel wurde. Ich hatte Leon gebeten, meine Mutter anzurufen, ihr zu sagen, dass es mir gut ging und es nicht notwendig sei, dass sie vorbeikam. Beim CT war nichts festgestellt worden und Leon hatte gewitzelt, dass mein Dickkopf wohl doch Vorteile mit sich brachte.
    »Kann ich dir was holen? Brauchst du etwas?« In seinem Gesicht stand immer noch der Schrecken.
    »Danke, nein. Mir tut einfach nur alles weh, jeder Knochen, mein ganzer Körper. Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er mit einem Vorschlaghammer bearbeitet worden. Ich muss in diesem Bett liegen, darf nicht fernsehen und nicht lesen. Ich kann froh sein, dass mir das Reden nicht auch noch verboten worden ist.«
    Leon strich mit seiner Fingerkuppe über mein Handgelenk. Ein leichter Schauer durchlief meinen Körper. Er beugte sich über mich und drückte sanft seine Lippen an meine. »Meinst du, Küssen ist erlaubt?«, fragte er.
    »Hm, die Ärztin hat nichts Gegenteiliges gesagt«, flüsterte ich. »Und weißt du, was? Plötzlich fühl ich mich viel besser!«
    Also tat Leon sein Bestes, dass es mir noch besser ging. Dann strich er mir sanft das Haar aus der Stirn. »Ich dachte, mein Herz würde stehen bleiben, als ich dich unten an der Treppe liegen sah. Du hast so … leblos ausgesehen«, sagte Leon.
    »Wolltest du denn nicht draußen auf mich warten?«
    »Hab ich ja, aber als es Viertel vor sechs wurde und ich es schon auf deinem Handy versucht hatte, dachte ich mir, ich schau nach dir. Bitte versprich mir, das nächste Mal musst du besser aufpassen. Du hättest dir sonst was brechen können.«
    Bei Leons Worten tauchte ein Bild in meinem Gedächtnis auf, zwar war es merkwürdig verschwommen, doch eines blieb: das Gefühl einer Hand in meinem Rücken, die mir einen Stoß versetzt hatte.
    Ich drückte Leons Hand so fest, dass er überrascht zusammenzuckte. »Leon, ich weiß zwar nicht mehr genau, was passiert ist – aber ich bin mir sicher, dass ich gestoßen wurde.«
    1. März 2012
    Donnerstag. Ich hab seit Anfang der Woche kaum an Melissa oder an meinen Vater gedacht. Das liegt daran, dass ich mit der Abizeitung so beschäftigt bin. Gott sei Dank! Ich habe nicht erwartet, dass sie so viel Arbeit macht, die neben dem Unterricht laufen muss, aber ich will mich nicht beschweren. Das Eigenartige ist, je weniger Zeit ich damit verbringe, darüber nachzudenken, was ich tun soll, desto mehr merke ich, dass es nur einen Weg gibt: Ich muss mit irgendjemandem darüber reden. Ich überlege ja schon länger, ob ich Steinmenger ansprechen soll. Selbst wenn er kein Vertrauenslehrer wäre, könnte ich mir keinen anderen vorstellen, dem ich mich anvertrauen könnte.
    Und Theresa werde ich auch einweihen und hören, was sie von allem hält. Vielleicht hat sie ja einen ungetrübten Blick und sieht klarer als ich. Wäre ja nicht das erste Mal. Möglicherweise weiß sie, was zu tun ist. Das ist so wie bei dem Sprichwort ›Man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht‹. Genauso komme ich mir vor, ich sitze in diesem Wald voller gruseliger Bäume und bewege mich nicht, vor lauter Angst, was passieren könnte.
    Wahrscheinlich hätte ich das schon viel eher tun sollen – mit Theresa reden, meine ich. Aber noch ist es nicht zu spät. Blöd nur, dass sie jetzt krank ist. Ich habe ihr gesagt, sie soll zu Hause bleiben, aber ich fürchte, sie wird nicht auf mich hören.
    Sie meinte, sie muss eh nur mehr den morgigen Tag überstehen und dann ist Wochenende. Da könne sie sich auskurieren. Aber ich finde, gerade weil morgen Freitag ist, sollte sie daheimbleiben. Sie sagte, aus mir spricht die Arzttochter und dass es sich halt nicht jeder leisten kann, einfach einen Tag blauzumachen. Wir hätten fast angefangen zu streiten. Was soll das denn heißen, sie könne es sich nicht leisten, einen Tag zu Hause zu bleiben. Ausgerechnet sie, die eh lauter Einser schreibt. Ich habe einfach nichts darauf erwidert.
    Immerhin waren die letzten Wochen für sie auch kein Zuckerschlecken mit mir.

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