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Frostengel

Frostengel

Titel: Frostengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamina Berger
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Kopfschmerzen über Nacht weitgehend nachgelassen. Auch wenn mir der Rest des Körpers immer noch wehtat, konnte ich wieder klarer denken. Nur was nach dem Treppensturz passiert war, blieb wie in einen Schleier gehüllt. Dabei wusste ich, dass es etwas Wichtiges war. Wenn ich mich bloß daran erinnern könnte! Wieder und wieder versuchte ich mir die Abläufe des gestrigen Nachmittags ins Gedächtnis zu rufen. Doch nach dem Stoß klaffte eine Lücke in meiner Erinnerung bis zu dem Zeitpunkt, als ich im Krankenwagen aufwachte.
    Bei der Visite sah ich die blonde Ärztin vom Vortag wieder. »Na, wie geht es dir heute?«, fragte sie.
    »Wie durch den Fleischwolf gedreht. Aber meinem Kopf geht es besser«, sagte ich. »Ich kann mich immer noch nicht an alles erinnern, was gestern passiert ist. Gibt sich das wieder?«
    Die Ärztin las in meinem Krankenblatt, schrieb etwas drauf und steckte beide Hände in ihren Kittel. »Hm, mit Sicherheit kann man das nicht sagen. Bei den meisten kommen die Erinnerungen wieder, manche erinnern sich an Fragmente und bei einigen bleibt ein schwarzer Fleck. Ansonsten sieht bei dir alles wunderbar aus. Du darfst später nach Hause. Kommt dich jemand abholen?«
    »Ja, mein Freund. Er sollte schon da sein.«
    Sie gab mir die Hand und wünschte mir alles Gute, bevor sie das Zimmer verließ. Ich holte meine Kleidung aus dem Schrank und zog mich langsam an. Gerade als ich versuchte, mein Haar zu bürsten, ohne an die Beule zu kommen, kam Leon herein.
    »Hi du.« Er umschlang mich von hinten, hob mein Haar hoch und gab mir einen Kuss in den Nacken. Sehr kribbelig, aber nicht unangenehm. Ich drehte mich zu ihm. »Auch hi, du. Wir können übrigens gleich gehen«, sagte ich.
    »Gut. Ich soll dir schöne Grüße vom Müller ausrichten.«
    »Vom Müller? Du warst in der Schule?«
    »Ja, ich dachte, vor der Visite kannst du eh nicht heim. Außerdem habe ich Bescheid gegeben, dass du ein paar Tage zu Hause bleiben wirst.«
    »Danke. Aber ich habe gar nicht vor, zu Hause zu bleiben. Morgen geh ich wieder in die Schule.«
    »Darüber reden wir noch. – Zu mir oder zu dir?«, fragte Leon und hob vielsagend die Augenbrauen. Ich brach in Gelächter aus. »Hör auf, albern zu sein. Lachen tut weh!«
    »Eigentlich war es vollkommen ernst gemeint«, protestierte Leon und sah mich an. »Ich biete dir einen Rundum-Service, eine Couch, ein paar DVDs, meine Gesellschaft, meine Kochkünste … aber wenn du lieber nach Hause willst, dann fahren wir dorthin und ich bleibe bei dir, bis deine Mutter kommt.«
    »Oh, dann zu dir. Ich möchte mich nur zu gern von deinen Kochkünsten überzeugen. Und deine DVDs sind bestimmt auch interessanter als meine, die ich schon tausendmal gesehen habe.«
    3. März 2012
    Theresa ist gestern doch in die Schule gekommen, obwohl ich auf sie eingeredet hab wie auf eine kranke Kuh, dass sie ins Bett gehört und dass es ihr nicht besser gehen wird, wenn sie in der Schule sitzt. Schließlich wirkte das Argument, sie würde in ihrem fiebrigen Zustand ohnehin nichts vom Stoff mitbekommen. Sie hat dann doch eingesehen, dass ich recht hatte. Am liebsten hätte ich sie heimbegleitet. Aber das wollte sie nicht. Sie meinte, es wäre besser, ich würde mitschreiben, was sie versäumt. Sie sagte, soooo schlecht ginge es ihr auch wieder nicht, dass sie nicht heimfände, und sie versprach, den Bus zu nehmen. Was sonst? In dem Zustand hätte ich ihr nicht geraten, zu Fuß zu gehen.
    Ganz unerwartet ergab sich die Gelegenheit, gleich mit zwei Lehrern das Interview zu führen. Wennecker hatte in der Mittagspause Gangaufsicht und ich nutzte die Gelegenheit. Er meinte, die Fragen seien jedes Jahr die gleichen. Aber dann überraschte ich ihn doch. Zum Beispiel wollte ich wissen, als welches Tier er sich sehen oder in welche Romanfigur er gerne schlüpfen würde. »Hut ab«, sagte er nachher. »Da erfahre ja selbst ich noch was Neues über mich.«
    Das zweite Interview führte ich mit Steinmenger, das würde sicher nett werden – dachte ich. Nachdem er mir meine Fragen beantwortet hatte, gab ich mir einen Ruck. Warum sollte ich ihm von meinem Problem denn nicht berichten? Rein hypothetisch natürlich. Immerhin ist er nur unwesentlich jünger als mein Vater und verheiratet ist er auch, also hat Steinmenger im Grunde die gleichen Voraussetzungen. Theoretisch zumindest.
    Ich fiel natürlich nicht mit der Tür ins Haus. Und natürlich sagte ich ihm nicht, dass ich damit meinen Vater meine. Ich fragte nur ganz

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