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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Hand ab.
    »Ihm nur etwas mit auf den Weg gegeben, über das er nachdenken soll … Keine Angst, er fängt sich schon wieder.«
    Maus wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Andererseits: Hätte Kukuschka mit ihr reden wollen, wäre er nicht fortgelaufen. So sind Erwachsene, dachte sie in einem Anflug von Bitterkeit: Sie tun ständig Dinge, die keinen Sinn ergeben.
    »Was hast du zu ihm gesagt?«, wollte sie von Tamsin wissen, jetzt nicht mehr ganz so zornig, aber immer noch verwirrt.
    »Dass es manchmal wichtig ist, eine Entscheidung zu treffen.«
    »Was denn für eine Entscheidung?«
    »Er weiß, welche.« Tamsins Hand streichelte ihren Kopf und betrachtete sie mit einem Ausdruck, der Sorge sein mochte. »Er weiß das sehr genau.«
     
    *
     
    Maus war hin und her gerissen. Immer wenn sie glaubte, Tamsin ein Stück weit durchschaut zu haben, machte sie mit einem Wort alles zunichte. Maus wurde aus ihr einfach nicht schlau. »Eigentlich bin ich hier, um mit dir zu reden«, sagte Tamsin.
    Maus sah sie fragend an.
    »Es ist so weit.«
    »Was ist passiert?«
    »Es hat begonnen. Gerade eben. Und wenn du möchtest, kannst du jetzt hinaufgehen in die Suite der Schneekönigin und das Fell des Rentierjungen stehlen.«
    »Aber –«
    »Du wirst ihr dort nicht begegnen, keine Sorge.«
    »Ich soll da reingehen und das Fell klauen?«
    »Du hast doch Übung in so was, oder?«
    »Ja … nein … ich meine, so einfach ist das nicht.«
    Tamsin seufzte. »Doch, Maus. Genauso einfach ist es.«
    Sie überlegte kurz, dann setzte sie hinzu: »Jedenfalls sollte es das sein. Vermutlich wäre es hilfreich, wenn du dich beeilst.«
    »Und sie ist nicht dort?«
    »Nein. Darauf gebe ich dir mein Wort.«
    »Und der Junge?«
    »Der Junge? Ja, wahrscheinlich ist er da.«
    Das verunsicherte Maus weit mehr, als sie je zugegeben hätte. Dann erst fiel ihr die Frage ein, die sie gleich als Erstes hätte stellen sollen: »Wo ist die Königin, wenn sie nicht in ihrem Zimmer ist?«
    »In meinem.« Tamsin zog eine Taschenuhr an einer goldenen Kette hervor, klappte sie auf und studierte gewissenhaft die Zeiger. »Jeden Moment sollte sie dort ankommen.«
    Maus verstand noch immer nicht recht, fühlte sich aber an den Schultern gepackt, herumgedreht und mit einem Klaps Richtung Ausgang geschoben. »Trödle nicht herum!«, sagte Tamsin. »Du hast ungefähr eine Viertelstunde.«
    Maus rannte los. Was immer es war, das sie Tamsin vertrauen ließ, es war nicht mit simplen Worten zu erklären. Vielleicht die Tatsache, dass die Engländerin vom ersten Moment an so freundlich zu ihr gewesen war. Eher noch, dass sie so anders war. Und ganz besonders – und das war vielleicht das Wichtigste –, dass Maus spürte, wie Tamsins Selbstbewusstsein auf sie selbst abfärbte. Sie fühlte sich stärker und entschlossener als jemals zuvor. Wenn sie Glück hatte, würde das die nächste Viertelstunde anhalten. Falls nicht – nun, dann spielte es vermutlich keine Rolle mehr.
    Sie benutzte die Stufen, weil sie den Liftjungen aus dem Weg gehen wollte. Schon im ersten Stock verließ sie das Treppenhaus wieder und lief den Korridor entlang. Mehrmals bog sie um Ecken, ehe der Flur vor ihr lag, auf dem sich Tamsins Zimmer befand. Die Kälte, die ihr entgegenschlug, war eigentlich Beweis genug. Aber sie konnte nicht anders. Sie musste ganz sicher sein.
    Zehn Meter vor Tamsins Tür blieb sie stehen, zögerte noch einmal und ging dann langsamer weiter. Sie versuchte, den Atem anzuhalten, weil er ihr so verräterisch laut vorkam. Bald aber bemerkte sie, dass sie dadurch nur noch kräftiger Luft holen musste, und bemühte sich, fortan gleichmäßig, aber so leise wie möglich zu atmen.
    Sie war jetzt noch vier Schritt von dem Zimmer entfernt. Aber weil sie sich dem Eingang von der Seite her näherte, konnte sie nicht erkennen, ob die Tür geschlossen war. Die Kälte drang ihr jetzt bis ins Mark.
    Mit dem Rücken presste sie sich gegen die Wand neben der Tür. Von der gegenüberliegenden Seite des Flurs hätte sie vielleicht mehr erkennen können, wäre aber auch selbst viel leichter vom Zimmer aus zu entdecken gewesen. Immerhin konnte sie jetzt sehen, dass die Tür einen Spaltbreit offen stand. Sehr, sehr behutsam schob sie ihr Gesicht am Türrahmen vorbei und schaute um die Ecke.
    Durch die Ritze sickerte graues Dämmerlicht, das weder vom Fenster noch von einer der Lampen stammen konnte. Es schien leicht zu flimmern, aber das mochte eine Täuschung sein. Ihr war

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