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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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hätte sich abermals verschätzt. Womöglich hatte die Königin sofort erkannt, dass ihr eine Falle gestellt worden war, und – lag das nicht auf der Hand? – war sofort umgekehrt und längst auf dem Rückweg zur Suite.
    Die Tür wurde geöffnet.
    Erlen stand vor ihr und sah sie mit seinen riesigen braunen Augen an. Seine Sachen schienen noch lädierter zu sein als gestern, so als wehrten sie sich dagegen, einen Körper zu kleiden, der nur durch Zauberei geschaffen worden war.
    Sie schenkte ihm ein nervöses Lächeln, schob, ohne abzuwarten, den Türflügel nach innen und schlüpfte hinein. Er hob protestierend eine Hand, aber da war sie schon an ihm vorbei, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür und hörte erleichtert, wie das Schloss einrastete.
    Erlen ergriff ihre Hand und wollte sie von der Tür fortziehen, um sie wieder zu öffnen. Maus aber schüttelte heftig den Kopf und war einen Augenblick lang versucht, ihm ihre Lage durch Gesten und Handzeichen begreiflich zu machen. Dann entsann sie sich, dass er zwar stumm, mitnichten aber taub war.
    »Ich weiß, was du bist!«, platzte es aus ihr heraus. »Ich meine, ich weiß, was sie dir angetan hat. Aber der Zauber kann rückgängig gemacht werden. Du brauchst nur das Fell dazu.« Sie stockte, als sie das Unverständnis in seinen wilden, dunklen Augen bemerkte. »Dein Fell, verstehst du?« Sie deutete auf die geschlossene Schlafzimmertür. »Es ist da drin. Ich hab’s gesehen.«
    Er holte tief Luft, als könnte er gar nicht fassen, was sie da redete. Dann schüttelte er vehement den Kopf.
    »Du willst nicht zurückverwandelt werden?«, fragte sie.
    Noch ein Kopfschütteln. Dann ein Nicken. Beides vermischte sich zu einem Ausdruck solcher Verzweiflung, dass es ihr im Herzen wehtat.
    »Ich versteh dich nicht«, sagte sie. »Lass uns das Fell holen, ja?«
    Sie wollte seine Hand abstreifen und zur Schlafzimmertür gehen, aber er verstellte ihr den Weg. Hätte er wütend ausgesehen, so hätte sie die Sicherheit gehabt, dass sie ihm ihre Hilfe aufdrängte, dass es ihm ohne sie besser erging. Doch da war nur diese schreckliche Trauer in seinem Blick. Die Verzweiflung eines eingesperrten Tiers. Und zugleich eine Furcht, die sich in ihren Magen wühlte und sie nur noch stärker verunsicherte. Vielleicht war es ja ein furchtbarer Fehler gewesen, hier heraufzukommen. Sich in Dinge einzumischen, die sie nun wirklich nichts angingen und die sie – Halt!, dachte sie. Es geht dich etwas an. Er hat dich gerettet. Und nun wirst du gefälligst – Der Gedanke wurde von einem Laut in ihrem Rücken abgeschnitten: heftiges Pochen an der Tür.
    Das ist sie!, schrie es in Maus.
    Aber die Königin würde nicht klopfen. Nein, das würde sie ganz sicher nicht.
    Die Miene des jungen wechselte von Niedergeschlagenheit zu heilloser Panik. Er begann, aufgeregt von einem Fuß auf den anderen zu treten, und es dauerte nur Sekunden, ehe Maus klar wurde, dass er damit nichts anderes tat als jedes Tier, wenn es eingesperrt und ängstlich war. Hätte Tamsins Behauptung noch irgendeines weiteren Beweises bedurft, dies war er.
    Das Klopfen wiederholte sich.
    »Hallo?«, knurrte eine unhöfliche Stimme. »Öffnen Sie die Tür.« Danach, leicht versetzt, als müsse sich der Sprecher erst dazu durchringen: »Bitte.«
    Maus schloss die Augen.
    »Hallo?«, ertönte es wieder.
    Erlen zerrte an ihrer Hand.
    Sie hob die Lider und hatte das Gefühl, gegen den Lärm ihres eigenen Herzrasens anschreien zu müssen. Stattdessen aber flüsterte sie nur: »Das ist der Rundenmann.«
    Erlen nickte.
    »Er sucht mich«, wisperte sie. »Er muss wissen, dass die Königin … dass deine Herrin nicht hier ist. Er denkt, ich –« Sie brach ab. Tatsächlich hatte sie keine Ahnung, was er dachte. Vielleicht sogar, dass Erlen beim Ausrauben der Suite gemeinsame Sache mit ihr machte. Lächerlich.
    Wäre sie nur ein wenig älter gewesen, erwachsen am besten, dann hätte sie sich ihm gestellt. Hätte ihm gesagt, was er von ihr aus mit seinen Verdächtigungen tun konnte. So aber war in ihr nichts als Angst. Hatte er ihr Geheimversteck hinter dem Weinkeller entdeckt? Ihr ganzes Diebesgut gefunden? War er deshalb hier?
    Erlen machte eine Geste und ging zur Schlafzimmertür, öffnete sie, schob Maus hindurch, blieb selbst aber im Vorraum stehen. Mit einem letzten, flehenden Blick drückte er die Tür wieder zu. Sie hörte seine trappelnden Schritte draußen auf dem Teppich. Er schien sich immer noch nicht entscheiden zu können,

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