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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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platzten in kurzer Folge drei Bilderrahmen, gefolgt von einem zornigen Knurren.
    »Du musst in ihr Zimmer gehen. Dort liegt in ihrem Zylinder der Zapfen. Du musst hineingreifen, ihn herausnehmen und zu mir zurückbringen. Alles andere findet sich von selbst.«
    Tamsin hatte Maus erklärt, dass der höllische Winter, der die ganze Stadt in seinem Bann hielt, enden würde, falls die Königin den Zapfen zurückbekäme und ihre alte Macht wieder herstellte. Trotzdem schüttelte sie den Kopf. »Das reicht nicht. Was genau wird passieren, wenn ich in den Zylinder fasse?«
    Die Königin blickte zur offenen Tür hinüber. »Du wirst die Sieben Pforten durchschreiten. Und an jeder wirst du eine Schicht deiner selbst verlieren. Jede Pforte nimmt dir eine der Hüllen, hinter der du dein wahres Ich verbirgst. Sie entblättern dich wie eine Zwiebel. Es beginnt ganz harmlos mit dem Schweiß auf deinem Körper, dann deinen Haaren. Als Drittes verlierst du deine Haut, danach deine Adern, schließlich die Muskeln – und zu ihnen zählt auch dein Herz. An der sechsten Pforte lässt du deine Knochen zurück, an der siebten deine Seele. Dann ist nur noch dein freier Wille übrig, dein wahres Selbst, und mit ihm musst du nach dem Herzzapfen auf der anderen Seite greifen. Hast du ihn, so kannst du zurückkehren und erhältst an jeder Pforte jene Schale wieder, die du dort abgestreift hast.«
    Maus fiel darauf nichts ein, nicht der leiseste Pieps. Wenn sie sich doch nur hätte einreden können, dass sie das alles träumte! Aber das wäre zu einfach gewesen.
    »Du musst noch etwas wissen«, fuhr die Königin fort. »Falls du aufgibst, bevor du die siebte Pforte durchschritten hast, wirst du all jene Hüllen, die du bis dahin zurückgelassen hast, nicht mehr wiederbekommen.«
    Maus kämpfte um ihre Stimme. Ihr war so schwindelig, als hätte man sie hundertmal um sich selbst gedreht.
    »Und warum können Sie nicht selbst hindurchgehen?«
    Die Königin lächelte gequält, während der Amoklauf des zornigen Schirms im Nebenzimmer einen neuen, scheppernden Höhepunkt erreichte. »Ich bin aus Eis. Aus nichts als Eis. Schon die erste Pforte wäre mein Tod.« Ihr Blick wanderte zu Erlen. »Und bevor du fragst: Als Rentier ist er mir keine Hilfe, und in seiner jetzigen Gestalt fehlt ihm mindestens eine Schale, um das letzte Tor zu erreichen.«
    »Sein Fell«, murmelte Maus.
    Die Königin nickte.
    »Sie müssen es mir geben, wenn ich den Zapfen wirklich holen soll«, sagte Maus. »Und Erlen freilassen. Das ist meine Bedingung.«
    »Dann soll es so sein.«
    Maus hatte nicht die geringste Vorstellung, worauf sie sich einließ. Sie wollte auch gar nicht allzu genau darüber nachdenken. »Einverstanden«, sagte sie und ballte dabei so fest die Fäuste, dass die Fingernägel in ihre Handballen schnitten. Nicht einmal der Schmerz fühlte sich echt an. Sie kam sich unwirklich vor, wie eine Gestalt im Traum eines anderen.
    Die Königin betrat das Schlafzimmer und schloss hinter sich die Tür. Der Schirm stieß ein zorniges Brüllen aus. Möbel schepperten. Die Königin stöhnte auf.
    Maus fuhr herum und lief zum Ausgang. Erlen trat beiseite und öffnete. Er folgte ihr hinaus auf den Gang und blickte sie erwartungsvoll an.
    »Und?«, fragte sie ihn. »Willst du mitkommen?«
Das Kapitel über die Magierin und den Rundenmann
    Im Schein der Petroleumlampe saß Tamsin inmitten der Kissen, die Maus an den Wänden ihres Geheimverstecks aufgeschichtet hatte. Sie blätterte in einem Buch mit englischen Märchen. Maus hatte es ihr vorhin gezeigt, aber da hatte Tamsin nur Augen für die Bombe gehabt. Jetzt tat ihr das Leid. Man konnte ihr so manches vorwerfen, aber Unhöflichkeit Freunden gegenüber gehörte eigentlich nicht dazu.
    Schon vor einer ganzen Weile hatte sie die Zündschnur in die Öffnung des Eisensterns eingeführt. Das andere Ende reichte bis zu ihren Füßen.
    Das aufgeschlagene Buch auf ihrem Schoß war in der Tat wunderschön, illustriert mit feinen Federzeichnungen der absonderlichsten Wesen. Sie versuchte, sich damit abzulenken, doch es gelang ihr nicht. Ihre Gedanken kreisten um die Bombe und die Schneekönigin, um die ahnungslosen Menschen oben im Hotel und natürlich um Maus, die wohl annehmen musste, dass Tamsin ihr übel mitgespielt hatte.
    Der Schirm würde ihr Nachricht geben, wenn die Königin gefunden war. Tamsin würde die Bombe nur zünden, falls sich ihre Gegnerin tatsächlich als so wehrlos erwies, wie sie hoffte. Alles andere wäre

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