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Frostfeuer

Frostfeuer

Titel: Frostfeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ihn nicht von hier fortbrachte.
    »Mädchen«, sagte da die Königin mit einer Stimme, deren Brüchigkeit Maus beinahe mehr entsetzte als die Tatsache, dass sie angesprochen wurde. »Lauf nicht weg.«
    Maus drehte sich um. Der Schirm pulsierte in ihrer Hand, aber vielleicht war das auch nur ihr Herzschlag, den sie bis in die Fingerspitzen spürte.
    »Wir brauchen … deine Hilfe«, sagte die Königin. Ihr eisblauer Blick war auf Maus gerichtet, aber er wirkte jetzt nicht mehr kalt und herrisch, sondern vielmehr verzweifelt.
    Erlen hatte einen Arm um die Taille seiner Herrin gelegt und stützte sie. Er sah furchtbar unglücklich aus, und das gefrorene Blut rund um seinen Mund machte seinen Anblick noch tragischer. Maus hatte das Gefühl, dass er gern zusammen mit ihr geflohen wäre, doch seine Loyalität zur Schneekönigin ließ ihn bleiben. Er musste Schmerzen haben, aber das war nichts im Vergleich zum Widerstreit der Gefühle, die ihn quälten.
    »Die Bombe …«, brachte Maus hervor, mit einer Stimme, die kaum noch ihre eigene war. »Sie kann jeden Moment explodieren. Unten im Keller. Wir müssen weg.«
    »Eine Bombe?« Die Schneekönigin rang sich ein Lächeln ab. »Das ist es, eine Bombe?« Sie holte mühsam Atem.
    »Wie ungeheuer simpel. Was ihr mit Magie nicht gelungen ist, bringt sie jetzt also mit ein wenig Feuerzauber zu Ende. Primitiv, aber gar nicht mal so dumm.«
    »Bitte«, sagte Maus und sah dabei Erlen an. »Lassen Sie uns gehen.«
    »Ich werde euch sogar begleiten … sobald diese Sache erledigt ist.«
    »Sie können Tamsin nicht aufhalten.«
    »Oh, aber gewiss«, sagte die Königin. Die Worte kamen jetzt flüssiger über ihre Lippen, wenngleich ihre Stimme noch immer alt und krächzend klang. »Aber nicht in diesem jämmerlichen Zustand.«
    Der Zapfen!, dachte Maus. Sie braucht die Kraft ihres Herzzapfens.
    »Du weißt, was sie getan hat«, stellte die Königin fest, als könnte sie Maus’ Gedanken lesen. »Ich selbst vermag die Sieben Pforten nicht zu passieren.« Der Ausdruck auf ihren Zügen verwandelte sich in etwas, das Milde sehr nahe kam. »Nur du kannst das. Du musst mir helfen.«
    Maus wirbelte herum, riss die Tür auf und wich ins Vorzimmer zurück. Die Schneekönigin folgte ihr mit Erlens Hilfe, schwankend und unsicher auf den Beinen. Ihr langes weißes Kleid funkelte unter einem Zuckerguss aus Eiskristallen, aber nicht einmal der kostbare Stoff konnte ihre knochigen Hüften und mageren Beine kaschieren. Maus fragte sich, ob die Königin ganz von selbst sterben würde, falls sie den Herzzapfen nicht bald zurückbekäme.
    »Ich kann das nicht«, stammelte Maus, während sie sich rückwärts Richtung Ausgang bewegte. Die Tür der Suite musste immer noch angelehnt sein.
    Sie tauschte einen Blick mit Erlen, las den Konflikt darin, die Zweifel, die Trauer. Sie konnte ihn nicht einfach aufgeben.
    »Ich verstehe nichts von Zauberei und … und irgendwelchen Pforten«, sagte sie zur Königin. »Ich weiß nur, dass hier gleich alles Schutt und Asche sein wird, und dass wir –«
    »Maus«, sagte die Königin. »Ist das dein Name? Wie ungewöhnlich und wunderbar. Du täuschst dich. Du kannst es sehr wohl. Von uns dreien besitzt allein du die Macht, den Zauber zu brechen.« Sie belächelte Maus’ offensichtliche Zweifel. »Warum sollte ich dich belügen? Ich vertraue dir sogar mein Leben an. Und das von Erlen noch dazu. Bring mir den Herzzapfen, und ich werde wieder mächtig genug sein, die Engländerin aufzuhalten.«
    »So viel Zeit bleibt uns nicht. Das alles hier kann jeden Augenblick –«
    Sie kam nicht dazu, den Satz zu beenden – denn in derselben Sekunde erwachte der Regenschirm zum Leben. Aus dem sachten Pulsieren in ihrer Hand wurde ein Zucken, dann ein heftiges Reißen. Ihre Finger schnappten auf vor Überraschung. Da sauste der Schirm auch schon davon, quer durch die Luft, mit der Spitze voraus wie ein farbenflirrender Torpedo.
    Maus entfuhr ein Schrei, aber noch viel lauter kreischte die Königin, die in diesem Augenblick erkannte, was Maus da die ganze Zeit über festgehalten hatte.
    »Ihr Schirm! Bei allen Reifgeistern, Kind, du hast ihren Regenschirm hierher gebracht!« Die Königin schüttelte den stützenden Arm des Jungen ab. »Erlen! Die Tür!«
    Maus warf ihr einen verdutzten Blick zu, wurde dann aber abgelenkt, als der Schirm einen engen Kreis um sie flog, dabei fast mit dem Griff ihre Nase streifte und – nach kurzer Orientierung – schnurgerade auf den Ausgang der Suite

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